Das Adjektiv erwartbar ist medial präsent, doch in den neuen Duden wurde es nicht aufgenommen. Nachweis und Überlegungen zu Sprachökonomie und -evolution.

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5.000 neue Wörter – das ist auch der Tagesschau einen Beitrag wert (Bildschirmfoto)

Der Duden hat 5.000 neue Wörter in den deutschen Wortschatz aufgenommen. Das geht aus einer Pressemitteilung des Duden-Verlages hervor. Diese Nachricht war selbst der Tagesschau nicht nur eine Meldung, sondern sogar einen Filmbeitrag wert (bei 11:46). Etliche habe ich schon hier im Blog behandelt: Fake News, postfaktisch oder queer z.B. Auch Spiegel Online berichtete neben zahlreichen Leitmedien.

Erwartbar: Liebling des Sports

Nicht zur neuen Auflage gehört das Wort erwartbar, obwohl dieses Adjektiv im Moment sehr gefragt ist. In London ist Leichtathelik-WM, nach den Wettkämpfen werden Athleten zum Interview gebeten, und gefühlt in jedem zweiten Interview befragen die Interviewer die Athlethen nach ihren Erwartungen. Im Wortlaut geht das etwa so: „Sie haben den xx. Platz errungen/das Finale verfehlt/erreicht/einen engen Vorlauf gehabt“ –

War das erwartbar?

Oder wenn ein Favorit einen Vorlauf gewinnt, dann war auch das – erwartbar. Nun muss man sagen: Ich schrieb fast auf den Tag genau vor sechs Jahren erstmals über dieses hässliche, unnütze Wort. Damals war es schon im Trend, und seitdem wächst sein Gebrauch kräftig weiter. Die Treffermenge bei Google, Stand 9.8.2017, beträgt 113.000 Funde, im Vergleich zu 67.500 2011. Das ist noch keine Verdoppelung, aber immerhin 67 Prozent Wachstum. Welche anderen Wörter haben derartige Konjunktur?

Ökonomie und Evolution

Warum sagt man erwartbar, wenn man zum Beispiel vorhersehbar sagen kann? Ich fürchte, es ist wie mit Screenshot statt Bildschirmfoto. Man spart ein bzw. zwei Silben. Schlussfolgerung: Es gibt eine Ökonomie der Sprache, die ihre Evolution bestimmt. Kurze Wörter werden häufiger verwendet und verdrängen längere.

Genauer betrachtet lassen sich zwei Überlegungen formulieren:

  1. Ökonomische Hypothese
    Knappheit und Effizienz sind auch in der Sprache ein Kriterium. Früher, als noch auf Papier gedruckt wurde, sowieso: Da war der Raum knapp, heute ist die Zeit das Kriterium. Derselbe Inhalt lässt sich in kürzerer Zeit, also mit weniger zeitlichem Aufwand, ausdrücken, also wird die kürzere Form bevorzugt.
  2. Evolutionäre Hypothese
    Von zwei inhaltsgleichen Worten wird sich das kürzere durchsetzen, weil es weniger Zeit und Aufwand braucht, es zu benutzen.

Gleichzeitig steht diese Entwicklung in einem kräftigen Gegensatz zu der Beobachtung, dass immer mehr geredet wird, um immer weniger zu sagen, weil etwa im TV in länglichen Liveübertragungen die Sendezeit gefüllt werden muss. Das ließe sich so erklären, dass ein Redner möglichst prägnant formulieren will, und daher z.B. erwartbar vorhersehbar vorzieht. Vielleicht ist es einfach nur eine Frage der Mode und erwartbar ein Trendwort.

Weiterer Einflussfaktor auf die Häufung von erwartet: Der zunehmende Gebrauch des Verbes sein – wie in hilfreich sein oder eben erwartbar sein. Sonst könnte man im Interview fragen:

Haben Sie das erwartet?

Auch weiter im Trend: Die Verdrängung von verständlich durch verstehbar.

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