Schlagwörter, Metaphern, Parolen, Bildbeschreibungen, Wortspiele – das sind gängige Mittel beim Headlining. Der Inhalt des Textes bleibt dabei allerdings im Dunkeln. Schade: Wozu wurde er geschrieben?
(25.1.2013) Ich habe neulich die Süddeutsche Zeitung gelesen, es war die Ausgabe vom Freitag vor zwei Wochen (11. Januar 2013). Dies waren u.a. Überschriften: Kalter Krieg, Weiter im Tiefflug, Einfach weitermachen, Hände hoch, Suppentheater. Wenn Sie das lesen, haben Sie das Gefühl, einen Eindruck von der folgenden Geschichte zu bekommen? Ich nicht. Schlagwörter, Metaphern, Parolen, Bildbeschreibungen, Wortspiele – das sind, wie die Beispiele zeigen, gängige Mittel beim Zeilenmachen. Der Inhalt des folgenden Artikels bleibt dem Leser dabei allerdings meist verborgen.
Ist wirklich das Internet schuld?
Die Konzepte heißen Storytelling, News Analysis, Entertainment. Dahinter steckt die Angst vor dem bösen Internet, das alle Nachrichten in Sekundenschnelle abfrühstückt und so die Zeitungen ihrer Funktion beraubt, weswegen sie die Geschichte weiterdrehen müssen, im besten (oder schlechtesten) Fall unterhaltend. Redakteure, Blattmacher und Verleger treten die Flucht nach vorn an, Motto: Wir zeigen, was wir können. Wortspiele etc. nämlich. Doch damit schmeicheln sie höchstens der Eitelkeit einiger Leser, derjenigen nämlich, die sich dadurch intelligent oder geistreich unterhalten fühlen. Wer sich informieren möchte, bleibt auf der Strecke.
Die Theorie vom bösen Internet müsste man ohnehin differenzierter betrachten. Mag sein, dass die big news auf den großen Nachrichtenportalen schnell gebracht werden und damit verbrannt sind. Aber speziellere Themen und Hintergrundberichte haben nach meiner Erfahrung in der Zeitung eine Chance, weil sie den Raum bietet und etwas zeitlichen Abstand für eine seriöse Einordnung hat. Das fängt schon in der Wirtschaft an, im Feuilleton erst recht und hört im Lokalteil nicht auf. Und damit gibt es keinen Grund mehr, nicht mit Hand und Fuß zu titeln.
Neue Leser durch Headlines?
Ich bezweifle, dass Zeitungen mit diesen Headlines neue Leser erreichen. Die Geduld ihrer Stammleser allerdings beanspruchen sie. Die müssen sich nämlich den Inhalt des Artikels mühsam aus dem Intro und schlimmstenfalls aus dem Artikel selbst zusammensuchen. So wird wesentliches Potential in der Nutzung verschenkt. Der Nutzwert der Sprachartistik ist – bei vorhandenem, aber begrenztem Unterhaltungswert – nahe null. Ein schneller Überblick ist gar nicht mehr möglich. Doch auch im Zeitalter des Storytelling hat der Leser ein Recht auf ein Minimum an Nachricht und eine Inhaltsangabe. Denn die Headline kann und soll ihm dazu Hinweise geben (zu den fünf Geboten für gute Headlines hier) – und entscheidet letztlich, ob jemand eine Geschichte liest.
Die Zeilen im Detail
Betrachten wir die Zeilen aus der genannten Ausgabe der Süddeutschen im Detail.
Hände hoch
steht im Panorama über einem Interview mit Regisseur Quentin Tarantino aus Anlass seines neuen Films „Django Unchained“. Das Bild zeigt Tarantino in Abwehrhaltung, eine Hand zum Schutz erhoben, die andere zur Faust geballt. Die Headline ist also eigentlich eine Bildbeschreibung und hätte sich erstklassig als BU geeignet (mit einer informativen Ergänzung, versteht sich). Handwerklich sauber wäre über dem Interview ein Zitat mit einer wesentlichen Aussage Tarantinos gewesen. Paradox: Unter dem Bild finden wir in der BU . . . ein Zitat.
Suppentheater
ist eine Ein-Wort-Überschrift über einem Artikel über . . . richtig: Eintöpfe. Ein-Wort-Überschriften sind an sich schon problematisch, weil sie inhaltlich unpräzise sind und nur assoziativ die Richtung vorgeben, doch die Redaktion hat sich darüber hinaus noch für ein Wortspiel entschieden: Puppentheater wäre hier im zweiten Schritt zu assoziieren, nur dass Eintöpfe nicht das Geringste mit Puppentheater zu tun haben. Denn wenn schon Wortspiele, dann bitte mit inhaltlichem Bezug zur Geschichte.
Kalter Krieg
wurde ein Artikel über die Lähmung des Sicherheitsrats der UN überschrieben. Das ist okay, denn die Metapher stammt aus dem gleichen Themenfeld. Nicht okay ist, dass man erstmal das Intro lesen muss, um den Kontext Sicherheitsrat zu verstehen – es hätte ja auch ein Artikel über den echten Kalten Krieg sein können. Sehen Sie, wie die Erwartungen des Lesers durch solche Headlines in die falsche Richtung gelenkt werden? Und Platz genug wäre für Kalter Krieg im Sicherheitsrat allemal gewesen – die Geschichte ist fünfspaltig gelayoutet.
Einfach weitermachen
steht über einer Analyse des Zustands der bayerischen SPD und ihres Spitzenkandidaten Christian Ude. Wir entnehmen dem Zusammenhang der Zeile, dass die Situation schlecht ist, hätten uns aber über genau diese Information in der Headline gefreut (z. B. Schlechte Umfragewerte für Ude). Was diese Headline besonders misslingen lässt: Durch die Aufforderung zum Weitermachen verbünden Autor und Blatt sich mit dem Gegenstand der Berichterstattung, die gebotene Unabhängigkeit wurde verletzt. Da hilft auch der zu erwartende Einwand nicht, gemeint sei, Ude selbst sage sich, einfach weiterzumachen. Ob es so war, kann der Leser anhand der Head nicht erkennen. Neutraler und nachrichtlicher wäre Ude unverdrossen.
Weiter im Tiefflug
schließlich lautet die Schlagzeile über dem Aufmacher des Immobilienteils. Der Artikel handelt von den dauerhaft niedrigen Zinsen und ihre Auswirkungen auf die Bautätigkeit. Doch statt das in die Head zu schreiben (Niedrige Zinsen beflügeln Baumarkt), entscheidet sich die Redaktion für eine ausgelutschte Metapher aus der Fliegerei, die mit Finanzen nichts zu tun hat, so dass der Zusammenhang mühsam im Intro hergestellt werden muss.
Und hier geht es zu den Ein-Wort-Überschriften, die ich oben schon angesprochen habe, und die eine weitere, weit verbreitete Ausprägung desselben Phänomens darstellen.
[…] Headlines sind für Inhalt da […]
[…] habe mich kürzlich ausführlich über Headlines in Zeiten von News Analysis, Storytelling und Entertainment-Anspruch von Zeitungen geäußert. Einen habe ich aber noch, und damit es nicht langweilig wird, […]
[…] Wortspiel. Vielleicht interessieren Sie auch ein paar generelle Anmerkungen zur Machart von Überschriften? Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Trends abgelegt und mit 2013, Headlines, Schlagzeilen, […]
[…] Wie viel inhaltliches Potential insbesondere durch schwache Zeilen verschenkt wird, lesen Sie hier. […]
[…] die Süddeutsche Zeitung, die Ein-Wort-Überschrift im Storytelling-Stil – s. Bild. Hier wird ungefähr und assoziativ getextet, es sind keine nachrichtlichen Elemente mehr enthalten. Wie soll ein Rechercheur damit […]