Sind Verräter in? Wenn man die häufige Verwendung des Wortes Kollaboration betrachtet, könnte man das vermuten. Warum man nicht einfach von Kooperation spricht, untersuche ich hier und heute.
Nach einer kurzen Pfingstfrische bin ich wieder zurück. Heute soll es um ein Wort gehen, dass sich zuletzt kräftig verbreitet hat. Insofern verlangt es unbedingt nach Würdigung in einem Blog, der sich mit Sprachveränderung in Medien beschäftigt.
Wo finden wir die Kollaboration?
Sofern Sie sich für Popmusik interessieren, poppt das Wort Kollaboration in Ihrem Bewusstsein wahrscheinlich in Verbindung mit dem Sänger Ed Sheeran auf. Sein neues Album trägt den vergleichsweise sperrigen Titel „No. 6 Collaborations Project“. Nicht weniger als 22 Kollaborationen seien in den 15 Tracks des Albums zu hören, schwärmt die Plattenfirma. Was bedeutet das? Bei jedem Lied hat sich Sheeran einen Gast eingeladen, mit dem er gemeinsam musiziert. „Ich bin ein riesiger Fan all der Künstler, mit denen ich kollaboriert habe, und die Arbeit daran hat großen Spaß gemacht“, wird Sheeran in einer Pressemitteilung vom 24.5. zitiert, aus der auch das Bildschirmfoto des Aufmachers stammt.
Doch der Begriff schwappt mit zunehmender internationaler Verflechtung auch auf Wirtschaft und Politik über.
Karsten Krämer, COO von C3, einer großen deutschen Content-Marketingagentur, sagt in einem Video auf Facebook,
der Trend geht zu mehr Kollaboration mit wenigen Partnern.
Kollaboration inspiriert Kreativität,
nimmt in einem weiteren Beispiel die PR-Agentur Weber Shandwick für sich in einem Tweet in Anspruch.
Da kann die Politik in Gestalt der EU nicht zurückstehen – schauen Sie mal hier, die European Cluster Collaboration Platform.
Was bedeutet Kollaboration?
Wir bemühen unsere leicht verkrusteten Lateinkenntnisse und identifizieren hinter der Vorsilbe Ko- das Substantiv labor, das im Deutschen Arbeit bedeutet. Hier wird also zusammengearbeitet. In der Wikipedia finden wir im Eintrag zur Kollaboration weiter (vom Autor geringfügig bearbeitet):
Der Ausdruck „Kollaboration“ wird unter anderem in den Wirtschaftswissenschaften und anderen anwendungsbezogenen Wissenschaften verwendet. Der Begriff collaboration ist auch im Englischen und Französischen geläufig. Kollaboration bedeutet hier allgemein eine Form der Kooperation oder Zusammenarbeit.
Was ist der Unterschied zur Kooperation?
Von der Bedeutung her im Grundsatz keiner. Vgl. auch das Bildschirmfoto der ECCP. In der Vorzeile der Veranstaltung in Toronto finden Sie die Kooperation. Ein Unterschied ergibt sich erst bei genauerer Betrachtung.
Bei der Kooperation wird in einem arbeitsteiligen Prozess parallel, also gleichzeitig gearbeitet, während bei der Kollaboration sequentiell, also nacheinander, an Prozessabschnitten gearbeitet wird, erklärt die TWT Digital Group in einem Post. Hmm . . . wenn das stimmt, dann wäre Ed Sheerans Platte eine Kooperation, denn hoffentlich bzw. vermutlich standen die beteiligten Musiker gemeinsam im Aufnahmestudio. Nein? Vielleicht auch nicht. Vielleicht werden einfach nur Dateien um den Globus geschickt, und jeder Künstler spielt dann seinen Teil der Aufnahme dazu. Das Verfahren wäre auf den ersten Blick billiger; wie es sich auf die musikalische und technische Qualität auswirkt, kann ich nicht einschätzen.
Warum stattdessen die Kollaboration?
- Bildungswörter unterliegen Trends und Moden. Kollaboration ist gerade in und klingt schick.
- Schon lange vertrete ich die These, dass Sprache ökonomischen Gesetzen unterliegt. Kollaboration geht leichter über die Lippen als Kooperation.
- Im Englischen sagt man collaboration, und der brave Deutsche wählt bei der Übersetzung in seine Sprache den Weg des geringsten Widerstandes.
2015 geriet der Kollaborateur erstmals in mein Blickfeld. Wer in Geschichte aufgepasst hat, weiß, dass bei dem Wort der unangenehme Beigeschmack des Verräters während einer Besatzung dazukommt. Interessanterweise ist das auch immer noch die erste Bedeutung, die Sie im Duden zur Kollaboration finden. Auch das ehrwürdige Websters Dictionary pflegt diese Bedeutung in seiner Definition von collaboration. Da sage noch einer, es gelänge nicht, die Nazizeit hinter uns zu lassen. 🙂
Aktualisierung (21.6.19):
Was hätte Ed Sheeran statt Kollaboration sagen können?
Erstmal liegt er mit seiner Wortwahl voll im Trend, denn der besteht gerade darin, ins Große, Ungefähre, Verhüllende zu formulieren. Das bringt Rednern etliche Vorteile:
- Unangenehmes klingt freundlicher, Probleme werden kleiner.
- Umgekehrt wirken bescheidene Ideen oder Entwürfe größer und kühner.
- Wer groß redet, erweckt den Eindruck, groß zu denken, klug zu sein, Vertrauen zu verdienen.
- Sie legen sich nicht fest, können also im Zweifel ungestraft das Gegenteil dessen tun, was sie gesagt haben, und dann auch noch behaupten, sie hätten es schon immer gesagt. 🙂
- Sie tun niemandem weh, auch wenn sie hinter der weichen Hülle ihrer Worte harte Entscheidungen zu verkünden haben.
M.a.W. für alle an der Macht ist die Technik des vielen Redens und wenigen Sagens durch Verhüllung am leichtesten zu machen. Sie ist eine echte Überlebensstrategie, um sich lange im Sattel zu halten.
Wo war ich? Richtig, Ed Sheeran.
Eine Lösung ergäbe sich aus der gegenteiligen Denkrichtung, also konkret zu werden. Er hätte von Duetten oder Duos sprechen können. Womöglich wäre ihm das zu altmodisch gewesen, was ich einräume.
Dann hätte er von Joint Ventures sprechen können. Oder bildhaft werden können und Adventures, Creative Adventures oder Wild Trips sagen können.
Und das ist das Ergebnis von einer Minute Nachdenkens. Sage also niemals jemand, es gebe keine Alternative. Und sie sei schwierig. 😉