Wie eine wörtliche Übersetzung zu einer unliebsamen Sinnentstellung führt.

Kollaborateur-Pressemitteilung-Oktober-2015
Nein, ich finde nicht, dass alles den Bach runter geht oder früher alles besser war. Allerdings verblüfft mich schon manchmal, was für schräge Sprachverirrungen des Wegs kommen, diesmal von jungen Leuten aus der Musikindustrie, die unbeholfen aus dem Englischen ins Deutsche transferieren – und die im Ergebnis nicht gerade mit Allgemeinbildung glänzen. Gerade in sogenannten Laberfächern wie Geschichte oder Gemeinschaftskunde lassen sich auch bestimmte Begriffe, Fakten und Zusammenhänge lernen – oder eben nicht, wie der heutige kleine Beitrag zum Thema Kollaborateur zeigt.

Da steht in der Überschrift einer aktuellen Pressemitteilung der Plattenfirma Columbia (s. Bildschirmfoto):

JEAN-MICHEL JARRE ‘ELECTRONICA 1: THE TIME MACHINE’ mit 15 Kollaborateuren wird heute veröffentlicht.

Im Lauftext geht es arglos so weiter:

Electronica 1: The Time Machine ist in den letzten vier Jahren mit insgesamt 15 Kollaborateuren entstanden.

Und ein drittes Mal dürfen die Kollaborateure in Aktion treten – es handelt sich also keineswegs um einen einmaligen Ausrutscher, sondern wiederholte, permanente Unkenntnis. Oder anders: Der unschuldige Verfasser hat keinen blassen Schimmer.

Über die Bereitschaft der Kollaborateure an diesem Projekt mitzuwirken zeigt sich Jarre tief berührt.

(Kommasetzung wie im Original.) Mal abgesehen von der Frage, warum mich die Headline durch ihre Großschreibung in der ersten Zeile anschreien muss, was vielleicht auch die Entscheidung eines Grafikers war, der durchgehende Großschreibung für hip hält, hat die Kollaboration (oder lässiger auch: Kollabo) im Wortschatz der Musikindustrie lange Tradition.

Die Branche gehört neben der Werbung wohl auch zu den am meisten denglisch-verseuchten. Die Collaboration steht im Englischen für eine enge Zusammenarbeit, eine Gemeinschaftsproduktion, und der collaborator ist zunächst ganz harmlos ein Mitarbeiter. Die Zweitbedeutung Kollaborateur führt uns dann schon auf die Fährte des Faux-pas. Der Kollaborateur entstammt dem politisch-historischen Milieu: Es handelt sich um einen Informanten, Denunzianten oder, wie der Duden schreibt:

Jemand, der mit dem Kriegsgegner, der Besatzungsmacht gegen die Interessen des eigenen Landes zusammenarbeitet.

Und das kann der Praktikant oder Junior Press Officer nun bestimmt weder gewusst noch gewollt haben. Aber doch verbrochen, wahrscheinlich mit Abitur. Ihm ging es bestimmt nur um die musikalische Zusammenarbeit. Vom Geschichts- daher gleich zum Deutschunterricht: Kollaborateur ist auch stilistisch unter aller Kanone. Was spräche gegen die Verwendung des Wortes Gäste?

Noch mehr Übersetzungspannen aus dem Englischen durch zu hohe Wort-Treue.

3 Responses to Jean-Michael Jarre und die Kollaborateure
  1. […] So, das war’s für heute. Frohe Ostern. Und wer noch nicht genug hat, hier gibt’s mehr Stoff zu falschen Freunden. […]

  2. […] geriet der Kollaborateur erstmals in mein Blickfeld. Wer in Geschichte aufgepasst hat, weiß, dass bei dem Wort der […]

  3. […] Sprachgefühl und Sinnverständnis vermissen lässt. Hier habe ich als Beispiel die unrühmliche Kollaboration zur […]


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