Acht weitere Beispiele für den intakten Medientrend, Substantive durch Voranstellen von Nicht- zu bilden, samt Ursachenforschung.
Es „nichtet“ fröhlich weiter. Statt nach dem treffenden Wort zu suchen, verwenden Journalisten in Beiträgen weiterhin die plumpe Verneinungsform eines Substantives, den sie dann mit einem Nicht- davorgestellt ins Gegenteil verkehren.
Woher kommt diese Neigung? Gefallen sich Journalisten in ihrer Selbstwahrnehmung als progressive Sprachentwickler? Wahrscheinlich trifft das zu, doch ich glaube, Ironie und Mutmaßungen verfehlen den Kern des Problems.
Das enorme Tempo in der Kreation zwingt dazu, keine Zeit beim Nachdenken über entlegeneres Vokabular zu verlieren. Es ist ökonomischer, weil effizienter, in bekannten Worten zu denken, und, wenn man ihr Gegenteil ausdrücken will, dies einfach durch Nicht- zu bilden. Zumal das auch zunehmend aus dem Englischen gelernt wird, in dem es mit dem vorgestellten Non- eine ähnliche Praxis gibt – auch wenn diese im Deutschen so nicht gilt, weil wir andere Vorsilben kennen, z.B. Un- oder Miss-. Was die Ursache auch sein mag, hier ein paar hübsche Hässlichkeiten der letzten Saison – und wie man sie hätte vermeiden können.
Nicht – acht weitere Beispiele
1. Nicht angekündigt – unangekündigt. Hier könnte man entschuldigend einwenden, die Schlagzeile verwende ein Zitat, offenbar aus juristischen Quellen. Juristen sind nicht für Spracheleganz bekannt.
2. Nichterfolg – Misserfolg, ausbleibender Erfolg, fehlender Erfolg (Welt vom 16.11.2017) in einem Bericht über die inzwischen ehemalige Fußballnationaltrainerin Steffi Jones.
3. Nicht-Existenz – das Fehlen, die Abwesenheit (Vogue)
4. Das Gefühl des Nicht-Dazugehörens – das Gefühl der Ausgeschlossenheit, Ausgrenzung, ausgeschlossen zu sein (Infinitive gehen auch, die Substantivierung ist das Schlimme!), nicht dazuzugehören (Quelle nicht mehr zu ermitteln)
5. Nichtautorisiert – unbefugt.
6. Nichtsichtbereich – Begriff aus dem Autobau, der durch die Substantivierung entsteht. Gemeint ist, dass etwas für den Fahrer/Käufer außerhalb des Blickfeldes liegt oder unsichtbar ist. Ratsam wäre eine adjektivische Lösung: Verdeckt, verborgen, unsichtbar (aus einem gerade zurückliegenden Projekt)
7. Nicht-behinderte Menschen – Menschen ohne Behinderung (mehrfach während der Paralympics 2018)
8. Nicht-Kommunikation: Kommunikationsverweigerung, -blockade, Schweigen. Hier wurde nebenbei versucht, das Nicht- als rhetorisches Mittel zu verwenden und ein Gegensatzpaar zu bilden. Sperrig bleibt’s trotzdem. Ich meine: Inhalt vor Form. (s. unteres Bildschirmfoto)
Wenn man bedenkt, dass Journalisten auch fürs Formulieren bezahlt werden (und manche sich als Formulierungskönige resp. Schöngeister betrachten), muss man sagen: Es ist ein Jammer und eine Schande. Wenn Sie mich fragen: Nicht(!)-s schlägt das treffende Wort.
Nicht-: drei Ursachen:
Noch einmal kompakt zusammengefasst meine drei Erklärungen:
- Es ist modisch, sich so auszudrücken. Wer möchte, zumal als Journalist mit angestrebter Deutungshoheit, nicht zur In-Crowd gehören?
- Auch für diesen Trend ist die Ökonomie des Sprechaktes verantwortlich. Je kürzer, desto besser. An ein Wort wie „Existenz“ zu denken, geht schnell, doch auf sein Gegenteil zu kommen, sei es noch so korrekt und treffend, erfordert gedanklichen Aufwand. Der lässt sich minimieren, wenn man den ursprünglichen Begriff einfach nur durch Nicht- ins Gegenteil verkehren muss.
- Das Englische arbeitet stark damit, die Vorsilbe non- vor ein Substantiv zu stellen. Zweifellos spielt auch das in den deutschen Sprachgebrauch hinein.
Aus Textersicht muss man sagen sagen: Diesen Trend sollte man ver-nicht-en. Hier geht’s zur vorigen Folge.
[…] den Medienschaffenden ein, denen ebenfalls kein treffendes Wort mehr einfällt, sondern die mit den „Nicht-igkeiten“ einen kolossalen Trend geschaffen […]
[…] Der einzig gültige Neinsager ist und bleibt der Nichtraucher. Mehr vom guten Stoff – zur vorigen Folge der Nicht-igkeiten. […]