Fremdwortalarm im Feuilleton: Mit den immer gleichen 25 Fremdwörtern versuchen Bildungshuber Eindruck zu schinden. Eine kleine Liste hilft, die kompliziert klingenden, eigentlich schlichten Botschaften wirksam und schnell zu entschlüsseln.
(15.4.2012) Weder Hobbyrezensenten noch Profiautoren kommen darum herum. Sie erliegen ihrer Eitelkeit, meinen sich Fachautorität borgen oder mit ihrer Bildung protzen zu müssen statt sich klar auszudrücken. Man könnte ja verstehen, was sie meinen – was oft schlicht ist, und deswegen hinter hochgestochenen Begriffen gut kaschiert werden kann oder muss.
Unvermeidliche Folge: Fremdwortalarm. Bevorzugter Tatort: Das Feuilleton. „13 makellose und in ihrer großen thematischen Variabilität stupende Storys“ verheißt uns etwa Spiegel Online in einer Buchbesprechung. Mit Loriot heben wir die Augenbrauen: Aaah ja, stupend. Das wollen Sie bitte nicht mit stupid verwechseln, auch wenn es naheliegt. Nein, es heißt verblüffend. Wäre es ehrenrührig oder zu viel verlangt gewesen, das auch zu schreiben? Ich vermute, der Schreiber wollte hier durch die Alliteration seine Fabulierkunst demonstrieren.
Wolf Schneider sagt in „Deutsch für Kenner“, wer wirklich schreiben kann, drückt mit einfachen Worten selbst komplizierte Inhalte aus. Ich glaube, das stimmt. Für die meisten der folgenden Begriffe gibt es ein verständliches deutsches Wort. Drucken Sie die kurze Liste aus und kleben Sie sie neben den Bildschirm, wenn Sie am Rechner lesen, oder legen Sie sie neben sich, wenn sie zu Zeitung oder iPad greifen. Dann sehen Sie klarer – und fragen sich wie ich, warum man es nicht gleich so hätte sagen können. Mit der Zeit stellen Sie fest, dass es die immer gleichen 25 Fremdwörter sind, mit denen die Bildungshuber Eindruck schinden wollen.
Kurze Liste unverständlicher Feuilletonphrasen
- ätherisch – überaus zart, erdentrückt, vergeistigt (nicht zu verwechseln mit ästhetisch)
- affirmativ – bejahend, bestätigend
- altruistisch – selbstlos, uneigennützig, aufopfernd
- apodiktisch – unumstößlich, unwiderleglich
- artifiziell – künstlich, gekünstelt
- Diaspora – Minderheit
- elegisch – weh-, schwermütig
- evozieren – hervorrufen, bewirken
- exaltiert – übersteigert, überspannt
- flamboyant – farbenprächtig, grellbunt oder heftig (nicht zu verwechseln mit -> larmoyant)
- Häresie – Gotteslästerung
- Idiosynkrasie – Abneigung, Widerwille; persönliche Eigenheiten, Vorlieben und Abneigungen
- kapriziös – launenhaft, eigenwillig
- (In-)Kohärenz – Zusammenhang (-slosigkeit)
- kongenial – geistesverwandt, geistig ebenbürtig, s. hier
- konterkarieren – hintertreiben, durchkreuzen
- larmoyant – weinerlich
- pittoresk – malerisch
- prätentiös (unprätentiös) – betont wichtig, bedeutend, (natürlich, frisch, unaufgesetzt)
- Provenienz – Abstammung, Herkunft (nicht zu verwechseln mit Provinz)
- rekurrieren, sich – auf etwas Bezug nehmen, anknüpfen (gern bei Musik, wenn Bezüge genannt werden)
- sardonisch – boshaft, fratzenhaft verzerrt
- stupend – erstaunlich, verblüffend (nicht zu verwechseln mit stupide)
- viril – typisch männlich
- virulent – ansteckend, mit gefährlichen Auswirkungen
Mehr Listen? Hier geht’s zu den unvermeidlichen Adjektiven, Teil 1, Teil 2.
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