Der Trend hat die Vorherrschaft errungen. Sagen Sie auch schon Nicht-Normalität, Nicht-Einhaltung oder Nicht-Erteilen? Das sollten Sie – besser nicht. 10 weitere Fälle samt Vorschlägen. (Lesezeit: ca. vier Minuten)

(6.7.2017) Schon länger verfolge ich dieses Phänomen aus der Abteilung Wortschatzverarmung, wie treue Leser wissen. Aus dem Rinnsal wurde ein Strom. Woraus besteht er? Anscheinend neigen Menschen, insbesondere Medienschaffende, dazu, in bestimmten vorgefertigten Begriffen zu denken. Soll von diesen das Gegenteil ausgedrückt werden, sucht man nicht mehr nach dem treffenden Wort, sondern setzt einfach Nicht- vor das ursprüngliche Wort. Das liegt nahe, ist aber meistens plump und hässlich. Das kann ich keinem Texter empfehlen.

Erschwerend kommt hinzu, dass besonders die Verwaltung dazu neigt, sich besonders korrekt auszudrücken – was dazu führt, dass die Bildung des logischen Gegenteils aufgrund Wortstamms als besonders präzise angesehen wird.

Ich vermute, dass sich der Effekt in den Medien stark verbreitet hat, weil das Englische diese Art der Wortbildung stark nutzt – und wie wir alle wissen, gilt die Benutzung von Anglizismen inkl. der Nutzung wörtlich übersetzter Redewendungen („Am Ende des Tages“) und grammatischer Strukturen in diesen Kreisen als schick, wohl weil sie Weltläufigkeit und Offenheit präsentiert.

Eine Debatte unterbleibt

Wie kommt es zu einer Nicht-Debatte? (Bildschirmfoto)

Die Nicht-Debatte

Aufhänger dieser Folge ist der herrliche Satz „In England kommt es zu einer Nicht-Debatte“, den Spiegel Online kürzlich brachte. (Da später aktualisiert wurde, verzichte ich auf einen Link). Herrlich ist ironisch zu verstehen, denn der Satz ist ein Paradox: Wenn es zu etwas kommt, muss daraus ein Ereignis folgen, und es kann nicht sein, dass keins folgt. Das aber wird hier gesagt. Eitelkeit? Der Versuch, anders zu sein? Witzig zu formulieren? Wer weiß.

Auf jeden Fall ist das Stilmittel für eine Nachrichtenseite unpassend. Mein Textertipp: Auf Paradoxa kommen Sie bitte nur dann zurück, wenn der Auftrag es erlaubt oder erfordert, z.B. wenn Sie ein 300-Zeilen-Essay für die F.A.Z. über Sokrates und seine Erkenntnismethoden zu verfassen hätten.

Ironischerweise löst der Schreiber die Verwirrung selbst auf, indem er später von Debattenverweigerung schreibt – s. zweites Bildschirmfoto.

oder auch: Die Debatte unterbleibT.

Dabei wäre die Verweigerung doch eine verständliche Lösung gewesen!

Oder wie wäre gewesen:

In England unterbleibt eine Debatte

Nicht-Einhaltung

Seit dem letzten Mal hat sich einiges angesammelt. Am häufigsten findet sich wohl die Nicht-Einhaltung. Dieses Wort muss man dem Ursprung nach Juristen und anderen Bürokraten zuschreiben, die eigentlich

Abweichung, Überschreibung, Missachtung

schreiben wollten, aber meinten, es wäre besonders korrekt, wenn Sie einfach das ursprüngliche Wort verneinen, um sein logisches Gegenteil zu bilden. Eins der drei passt je nach Zusammenhang immer, und schöner ist es allemal.

Nicht-Normalität

Mit der Nicht-Normalität glänzt Meedia. Zitat:

Aus dieser Nicht-Normalität ist jetzt ein neues Projekt entstanden.

Sagen Sie doch einfach Unnormalität. Ist das unnormal? Der Verdacht keimt, dass im Zeitalter von Universalismus und grenzenloser Toleranz nichts mehr unnormal mehr sein kann resp. darf, weil das Wort eine diskriminierende und abwertende Konnotation hat. Damit ist es so tot, dass es durch ein vermeintlich harmloseres ersetzt wird, und schon sind wir mit der Nicht-Normalität konfrontiert. Außer- oder Ungewöhnlichkeit wären eine Alternative.

Die Nichtwirksamkeit

Anfang des Jahres gab es auf Twitter einen bizarren Streit über die Wirksamkeit von Homöpathie. Den Inhalt ignorieren wir hier (nachzulesen z.B. in einer Zusammenfassung auf SpOn), würdigen aber kurz den streitauslösenden Tweet der Technikerkrankenkasse. In ihm lesen wir das zeitgenössische, aber gräßliche Wort Nicht-Wirksamkeit.

Wie kann man in der Kommunikationsabteilung einer großen Organisation arbeiten und so ein Wort absondern? Wahrscheinlich, weil auch dort die oben genannten Bedingungen herrschen. Jetzt ist schnelle Hilfe gefragt. Welche Alternativen fallen uns auf Anhieb ein? Gemäß meiner alten Regel, nach der die Vorsilbe Nicht– im Deutschen durch Un– ersetzt werden sollte, kommen wir im ersten Schritt rein mechanisch auf Unwirksamkeit. Für alle, die jetzt rufen, Unwirksamkeit sei nicht dasselbe, gelte in der Rechtssprache und betreffe nur Verträge, gehen wir nach kurzem Nachdenken auf die erste Abstraktionsebene: Es folgt die Wirkungslosigkeit.

Nicht-korrupt

korruptionslose Länder

Wie schön: Länder ohne Korruption. (Bildschirmfoto)

SpOn bleibt eine Fundgrube – oder sprachlich gesehen: Resterampe. Lesen Sie hier die schauderhafte Headline, die im verlinkten Beitrag nicht mal gekoppelt wird (Es wurde also noch ein Fehler hineinredigiert):

Heckler & Koch liefert nur noch in nicht-korrupte Länder.

Vorschlag zur Güte:

Heckler & Koch liefert nur noch in Länder ohne Korruption.

oder, wenn es ein Adjektiv sein soll:

Heckler & Koch liefert nur noch in korruptionsfreie Länder.

Statt korruptionsfrei bietet sich korruptionslos an.

Zum Schluss noch ein paar Beispiele, die schon länger unter den Entwürfen ruhten und nun endlich aus der Klamottenkiste dürfen:

Nichterteilen

„Durch das Nichterteilen der Zulassung für die 3. Liga wurde unserem Sanierungsplan jedwede Grundlage entzogen“,

erklärte OFC-Geschäftsführer David Fischer. (Gefunden am 6.6.2013 auf SpOn.) So eine Substantivierung („Das Nichterteilen“) schmerzt besonders. Wer immer der OFC und David Fischer waren, besser wäre:

„Durch den Entzug der Zulassung . . .“

Wobei entzogen bereits das Verb ist, und man sich so Durch den Entzug  . . . entzogen einhandeln würde. Ich empfehle daher ein weiteres Mal den Rückgriff auf das wunderschöne deutsche Wort ohne, das leider arg in die Defensive geraten ist. Unter seiner Verwendung kämen wir auf:

„Ohne Zulassung für die 3. Liga wurde unserem Sanierungsplan jedwede Grundlage entzogen.“

Kürzer und schöner – Texten und lesen können Freude machen!

Nicht-Fußballbegeisterte

Aus dem Programmhinweis auf das Champions-League-Halbfinale. Wie wär’s statt dem sperrigen Nicht-Fußballbegeisterte mit

Fußball-Muffeln?

Zu hart im Zeitalter der Inklusion? Dann wären

Fußball-Verweigerer

vielleicht was? Immerhin gab es auch mal Kriegsdienstverweigerer.

Nichtselbständige

Ein Versicherungsunternehmen bietet eine Rechtsschutzversicherung für Nichtselbstständige an. Wie wäre es positiv formuliert mit Angestellten oder Arbeitnehmern – sie stellen etwa 90 Prozent der Beschäftigten.

Nicht-teilnehmende Anbieter

Eine Formulierung auf SpOn wie

Streaming-Dienste nicht teilnehmender Anbieter

könnte man mit minimalem gedanklichen Aufwand umformen zu

Streaming-Dienste externer Anbieter

oder

Streaming-Dienste anderer Anbieter.

Nicht-sendungsbezogene Inhalte

Auf Meedia fand ich zum Streit um die Aufgaben öffentlich-rechtlicher vs. privater Onlineangebote den Satz:

Die Tageszeitungen werfen RB eine „massive Missachtung des Verbots der Presseähnlichkeit von nicht-sendungsbezogenen Inhalten“ vor.

Was der Texter unter Rückgriff auf das ausgemusterte ohne hätten sagen können:

Die Tageszeitungen werfen RB eine „massive Missachtung des Verbots der Presseähnlichkeit von Inhalten ohne Sendebezug“ vor.

Nichtfreischalten (von Kommentaren)

In der FAZ:

Blockieren

wäre eine klarere Variante gewesen. Und hier geht’s zu den früheren Folgen der Nicht-igkeiten.

2 Responses to Noch mehr Nicht-!
  1. […] Den Trend zur Wortbildung mit Nicht- habe ich schon mehrfach beleuchtet, zuletzt hier. […]

  2. […] Aus Textersicht muss man sagen sagen: Diesen Trend sollte man ver-nicht-en. Hier geht’s zur vorigen Folge. […]


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