Veganuary und Silwestern sind meine besten Funde zu wortspielerischen Slogans im Januar. Dazu gibt’s gelungene Schlagzeilen sowie größere und kleinere Wortwahlen im Überblick.
Als ich vor nun schon über zehn Jahre mit dem Bloggen begann, war die Berichterstattung über Wahlen zu Schlagzeilen, Slogans, Worten oder Unworten des Jahres noch nicht so verbreitet. Inzwischen haben auch größere Medien oder Organisationen diese Nische für sich entdeckt und besetzt. Zeit für mich also, mich im besten evolutionären Sinn nach einer neuen Weide umzusehen, die mich mit Stoff nährt. Und so halte ich weiter die Augen auf und versuche im medialen Alltag Skurrilitäten und Schrilles zu finden und hier festzuhalten.
Daher beginne ich diesen Beitrag rein nachrichtlich und aus Chronistenpflicht mit einer Kurzzusammenfassung der großen Wahlen; groß insofern, als über sie überregional berichtet wurden, z.B. im ZDF. Das würdigt beispielweise die Wahl zur Floskel des Jahres 21, die auf das Wort Eigenverantwortung fällt. Das überrascht zunächst, denn ich habe gelernt, dass Verantworung zu den vornehmsten Tugenden des Individuums zählt. So ist es wohl auch, aber beklagt wird, dass die Eigenverantwortung zu Corona-Zeiten „als Schlagwort von politisch Verantwortlichen, die der Pandemie inkonsequent entgegenwirken“, gekapert wurde.
Die großen Wahlen
„Pushback“ wurde zum „Unwort des Jahres“ 2021 gewählt. Eine Jury von Sprachwissenschaftlern an der Uni Marburg kürte den Begriff, der wörtlich zurückdrängen oder zurückschieben bedeutet, weil er die Zurückweisung von Flüchtlingen an Grenzen beschönigt oder verschleiert.
Nicht ganz so verbissen, sondern geistreich und wortspielerisch ging es bei der Schlagzeile des Jahres zu, einer Verstaltung des VdS. Das Rennen machte die
Katarstimmung beim FC Bayern,
auf die ein Schreiber der Süddeutschen Zeitung im Zuge der Berichterstattung über das Verhältnis des Vereins zur WM in diesem Jahr kam, wie der VdS über seine Wahl berichtet. Platz 2 ging an
Österreich nach dem Kurz-Schluss,
wie die Welt am Sonntag am 5.12.2021 titelte und damit die Lage des Landes nach dem überraschenden Rücktritt ihres Bundeskanzlers analysierte. Gelungen ist m.E. auch
Kapitolverbrechen
aus der Süddeutschen Zeitung vom 8.1.2021, wo mit nur einem Wort der Sturm auf das Kapitol zutreffend als kapitales Vergehen charakterisiert wird.
So, und an dieser Stelle wird es Zeit für die eigenen Funde.
Mutig: Silwestern
Der Fernsehsender RTL+ beschloss, den Silvester-Abend zu Silwestern umzutaufen. Was zunächst sehr gequält erscheint, wurde durch die Unterzeile Da knallt’s gemäßigt und analog zu dem, was man Silvester um Mitternacht gemeinhin so tut, sinnvoll ergänzt. Bzw. recht eigentlich war es eine ironische Replik auf das coronabedingte, Feinstaub vermeidende und Tiere verschonende Böllerverbot: 2021 knallte nämlich nichts, zumindest offiziell nicht. Und logischerweise wurden tapfer Western gezeigt, der Klassiker „Spiel mir das Lied vom Tod“ zum Beispiel.
Im Trend: Der Veganuary
Stärker gequält hat mich das Kofferwort Veganuary. Warum gequält? Sprachlich, weil das g nur geschrieben funktioniert; gesprochen ist es einmal g wie in vegan und einmal dsch wie in January. Inhaltlich, weil nur 2,2 Prozent der deutschen Bevölkerung sich vegan ernähren, wie der Branchendienst Horizont berichtet. Und doch hat diese Gruppe genug Einfluss, um im Lebensmitteleinzelhandel Blickpunkt und Vorbild in der Kommunikation zu werden. Erstaunlich, aber erklärbar: Vegan ist im Trend. Im veganen Januar jedenfalls entwickelt die Agentur Jung von Matt das in die Jahre gekommene Händlermotto „Wir lieben Lebensmittel“ weiter, wie Horizont in einem weiteren Beitrag feststellt. Jetzt heißt es
Folge dem Herzen zur veganen Vielfalt,
womit auch das derzeit unvermeidliche Modeziel der Vielfalt aufgegriffen wurde. Dazu laufen zahlreiche Aktionen zum Thema vegane Ernährung, wie die EDEKA selbst berichtet. „The trend is your friend“ lautet eine alte Börsenweisheit. Und siehe da: Auch andere sind aufgesprungen, Aldi etwa, sowohl der Norden als auch der Süden. Insofern würde ich zusammenfassen: Alles richtig gemacht.
Börsenunwort des Jahres 21: Taschengeldtrader
Eine Wahl hätte ich dann aber doch für Sie, und zwar die zum Börsenunwort des Jahres. Das wurde 2021 der Taschengeld-Trader.
Der Begriff zielt auf eine zunehmende Zahl junger Menschen, die sich bereits in der Schul- und Ausbildungszeit mit noch überschaubaren Geldbeträgen an der Börse engagieren,
schreibt die Börse Düsseldorf, die diese bereits zum 21. Mal abhielt, in ihrer Pressemitteilung. Seit zu niedrigen Gebühren der Handel per App möglich ist, können auch Teenager dreistellige Beträge lohnend an der Börse platzieren. Davon scheinen nicht wenige Gebrauch zu machen. Und warum auch nicht? So lässt sich das schmale Taschengeld ohne viel Mühe aufbessern, sofern man auf das richtige Pferd setzt. Sprachlich betrachtet profitiert auch der Taschengeld-Trader von einem klassischen rhetorischen Mittel, nämlich dem gleichen Anlaut, in diesem Fall das T. So was geht eben gut über die Lippen und liest sich locker. Well done, wer auch immer den Begriff kreiert hat. Umso bedauerlicher, dass er zum Börsenunwort gewählt wurde. Wahrscheinlich, weil die Frischlinge mit ihren kleinen Beträgen von den Platzhirschen nicht für voll genommen werden und statt dessen Spott ernten. Das ist zwar armselig, aber menschlich.
Und wie wir insgesamt sehen: Das Wortspiel liegt weiter im Trend.
Zu mehr Blogbeiträgen über das Wort des Jahres und das Unwort des Jahres.