(6.4.2012) Diese Veränderung greift um sich, sie ist fast schon überall. Selbst meine siebenjährige Tochter sagt, etwas sei weniger gut, wenn sie schlechter meint. Ich habe vor einem Jahr schon über das Phänomen gebloggt, aber es hat sich medial und im privaten Umfeld dermaßen gehäuft, dass ich es noch einmal bringen möchte.
Vor ein paar Wochen las ich im SZ-Wirtschaftsteil (13.2.) in einem Artikel über die zukünftige Energieversorgung einen besonders auffälligen, gleichzeitig so typischen Fall. Da hieß es
Je weniger schnell hierzulande die Stromnetze ausgebaut werden, desto mehr fließt über die Nachbarstaaten.
Weniger schnell? Dafür gäbe es ein treffenderes Wort: Langsamer. Es ist gedanklich wie mit dem entschleunigen: Der Grundzustand, hier das hohe Tempo, soll sprachlich erhalten bleiben, weswegen, wenn von ihm nach unten abgewichen wird, ein weniger davor gesetzt wird. Diese Form gilt dann als besonders präzise. Aber stimmt das? Hier würde ich verneinen; Stromnetz-Ausbau geht ohnehin langsam voran. Weniger schnell ist dagegen unscharf, modisch und bläht auf. Dafür wird es für den Schreiber einfacher: Er muss nicht so lange in seinem Wortschatz nach dem treffenden Wort suchen (nicht abfällig gemeint).
Aber das war nur ein Beispiel. Hier die unnötigsten und populärsten Fälle der letzten Wochen aus Zeitungen und Büchern samt Vorschlag, ohne Einzelnachweis.
- weniger gut – schlechter
- weniger groß – kleiner
- weniger steil – flacher
- weniger leicht – schwerer
- weniger sicher – unsicherer
- weniger oft – seltener
Wenn Sie die Grundform unbedingt erhalten wollen, müssen Sie nicht den Komparativ mit weniger bemühen. Sie können auch mit nicht so relativieren. Also: Der Wagen war nicht weniger schnell, sondern nicht so schnell. Der Weg war nicht weniger steil, sondern nicht so steil etc. pp.
Das führt zu einer möglichen Ursache: Nicht nur Worte kommen aus dem Englischen zu uns, sondern auch Satzbaumuster. Und drüben sagt man eben nicht not so, sondern less mit Komparativ. Das hat sich anscheinend ins Deutsche übertragen. Das Phänomen hat aber – im Fall von Kritik – auch damit zu tun, dass wir (Achtung:) weniger hart klingen (milder also), wenn wir keinen Gegensatz bilden. Weniger gut – das klingt freundlicher als schlechter.
Was zu einer interessanten Nebenbeobachtung führt: Der Weg führt fast immer vom Positiven zum Negativen, selten umgekehrt. Probieren Sie es mit den Beispielen von oben aus: Besser existiert noch, niemand würde weniger schlecht sagen. Größer geht immer, weniger klein nicht. Schneller auch, weniger langsam habe ich noch nicht gehört. Hier bricht sich wohl auch der allgemeine Relativierungstrend sprachlich Bahn: Lasst uns zart zueinander sein, Klarheit tut weh.
Noch ein Eintrag mit mehr Ursachenforschung hier.
[…] mehr zu Komparativen in den […]