Warum ich die Adjektive unsäglich und wunderbar nicht mehr hören kann – geschweige denn schreiben möchte. Und Sie hoffentlich auch nicht!

(12.5.2017) Selbst klassische Ressorts wie das Feuilleton und erst recht die Sozialen Medien unterliegen Trends und Moden. Dies in unguter Kombination mit dem Trend zum schrumpfenden Wortschatz, und schon sieht sich der Leser/User bei der Lektüre/Browsen einer sehr begrenzten Auswahl von Adjektiven gegenüber. Zwei besonders inflationär verwendete sind mir in letzter Zeit aufgefallen: unsäglich und wunderbar.

Plädoyer gegen das Unsägliche
Wenn jemandem etwas nicht passt, egal, was, und er soll das öffentlich anklagen, dann wird er momentan mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Wort unsäglich verwenden. Es findet sich nicht nur zur Abwertung unerwünschter Meinungen und Personen in der Politik, sondern ist auch ein Feuilletonliebling für missratene Kunstwerke. Eigentlich wird es in heutigen ad hominem-Zeiten immer dann eingesetzt, wenn wenig Argumente vorliegen, jedoch aus dem Bauch eine starke Position gegen Personen aufgebaut werden soll. Kurz: Um unsubstantiiert zu bewerten.

Unsäglich (Schlagzeile der Bild-Zeile): Warum berichten, wenn man bewerten kann?

Hier ein beliebiges Beispiel aus der Bild-Zeitung:

Journalistenverband kritisiert 1860: „Unsäglich!“

Selbst im Sport ist unsäglich also schon angekommen und hat es vom Lauftext bereits in die Überschrift geschafft. Es geht im Beispiel um den Ausschluss von Journalisten von der Live-Berichterstattung über den abstiegsbedrohten Zweitligaklub 1860 München. Das kann den journalistischen Interessenvertretern nicht gefallen. Folge: Die öffentliche Anklage mit dem Pauschaladjektiv unsäglich. Liest man die Meldung, wird klar, dass in der Sache die Willkür bei der Akkreditierung kritisiert wird. Warum dann nicht titeln:

1860: Journalistenverband kritisiert Willkür

Trifft’s und informiert auch noch, statt nur zu pauschal abzuwerten. Aber der Punkt wird, meine ich, klar: Es gibt Wörter, die letztlich keinen Inhalt haben. Dazu sind sie durch Gebrauch bei jeder Gelegenheit durch: Aufgebraucht, verschlissen, kaputt. Warum? Weil wir sie so oft gelesen haben, dass sie im Gehirn des Lesers keine Reaktion mehr auslösen. Das Wort ist geronnen, erstarrt, tot, kurz: Eine Floskel geworden. Dieses Adjektiv steht er auf der Liste der Wörter, die wir nicht verwenden können. Wir = Profischreiber. Und zwar gar nicht mehr.

Das muss auch nicht sein, denn es gibt haufenweise Synonyme. Da der Deutsche als kritischer Denker bekannt ist und Sprache das Denken abbildet, hält der deutsche Wortschatz im Dutzend brauchbare, zum Teil sehr schön bildhafte Ersatzformulierungen bereit, die jederzeit vorzuziehen wären. Bitte bedienen Sie sich aus dem Duden:

ärgerlich, blamabel, dümmlich, eine Frechheit, haarsträubend, himmelschreiend, niveaulos, peinlich, schändlich, schlecht, skandalös, unerträglich, unsinnig; (umgangssprachlich) allerhand, blöd, bodenlos, das Letzte, entsetzlich; (emotional) eine Unverschämtheit, unverschämt; (abwertend) albern, erbärmlich, hanebüchen, lächerlich, lachhaft, töricht; (umgangssprachlich abwertend) schrecklich; (umgangssprachlich, meist abwertend) unmöglich

Zum Schluss die Frage: Warum gleich maximale Lautstärke? So wie beim ähnlich klingenden unerträglich. Da könnte man auch leiser stellen und schwer erträglich sagen. Aber differenzieren entspricht nicht dem Zeitgeist, lieber reflexhaft in Schubladen und Kategorien zu denken und zu reden. Mein Tipp: Versuchen Sie, den roten Bereich zu vermeiden. Es mag paradox klingen, aber so erhöhen Sie Ihre Wirkung. Denn wer immer nur schreit, dem hört irgendwann niemand mehr zu.

Schwärmerisch, unreflektiert, unterwürfig: „Die wunderbare . . .“

Warum wunderbar nicht geht
Umgekehrt: Wenn Sie etwas loben wollen, können Sie auf keinen Fall das Adjektiv wunderbar verwenden. Wie in die wunderbare Martina Gedeck (wie hier im Online-Angebot der Zeit) oder die wunderbare Nina Hoss (vgl. das Bildschirmfoto der NZZ) oder oder oder. Dieser Wortgebrauch ist kläglich, zeugt von begrenztem Wortschatz und legt Einfalt nahe. Warum?

Formal ist wunderbar zu überschwänglich und schwärmerisch. Journalisten sind im Beobachtungsgewerbe und keine Bewerter (obwohl sie das oft tun). Wie kann der Schreiber eine kritische Distanz zu seinem Gegenstand wahren, wenn er seine Beobachtungen zu Jubelarien transformiert? Das ist ein Widerspruch.

Wunderbar ist inhaltlich das Feuilleton-Äquivalent zu nett, nur viel größer. Wie nett ist es austauschbar, uninspiriert, es zeigt, dass Sie den Künstler hochschreiben wollen, aber nicht genau sagen können, was ihn auszeichnet. Das bedeutet entweder, dass der Künstler gar nicht so besonders ist, oder der Gegenstand den Schreiber überfordert.

Zweitens wird nicht geschrieben die wunderbare Schauspielerin, womit eine berufliche Leistung gewürdigt würde; nein, wunderbar wird direkt mit dem Namen verbunden, was die Distanz weiter verringert, eine Überhöhung der Person nahelegt und die Unterwürfigkeit des Schreibers zum Ausdruck bringt. Wenn Sie mich fragen: Das ist peinliche Fanschreibe.

Drittens ist wunderbar eine Eigenschaft der Extraklasse. Mit Adjektiven soll man generell sparsam umgehen, mit derart positiven wäre ich nochmal zurückhaltender. Wunderbar geht eigentlich nur bei Künstlern mit einem besonderen natürlichem Charme, Talent oder Ausstrahlung – also den wenigsten.

Auch für wunderbar können Sie sich über einen Mangel an Alternativen nicht beklagen. Schöpfen Sie frei aus dem Duden:

ausgezeichnet, bezaubernd, brillant, eindrucksvoll, einmalig, entzückend, fabelhaft, fulminant, genial, gigantisch, grandios, groß, herausragend, herrlich, hervorragend, hinreißend, märchenhaft, paradiesisch, phänomenal, schön, sensationell, spektakulär, überragend, überwältigend, unvergesslich, vollendet, vorzüglich; (bildungssprachlich) exzellent, exzeptionell, formidabel, superb; (umgangssprachlich) astrein, bombig, doll, famos, fantastisch, glänzend, großartig, himmlisch, irrsinnig, klasse, mega, pfundig, prima, riesig, scharf, spitze, spitzenmäßig, stark, super, toll, traumhaft, umwerfend; (schweizerisch umgangssprachlich) gefreut; (umgangssprachlich, besonders süddeutsch, österreichisch, schweizerisch) sauber; (salopp) cool, eine Wucht, heiß, irre; (salopp, besonders berlinisch) dufte; (salopp, besonders Jugendsprache) [affen]geil; (emotional) köstlich, unvergleichlich; (umgangssprachlich emotional) sagenhaft; (oft scherzhaft) göttlich; (Jugendsprache) fett

Welche Wörter weiterhin nicht gehen, steht in Uwe Kopfs Vermächtnis. Im Beispiel aus der Zeit muss der Schreiber noch mehr Klasse beweisen und nutzt die Phrase von der kongenialen Arbeit des Produzenten. Auch kongenial geht nicht – wenn auch aus anderen Gründen.

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