Das erste Halbjahr ist vorbei – Zeit für eine kurze Bestandsaufnahme. Die europäische Schuldenkrise macht den Rettungsschirm zu einem ernsthaften Kandidaten für das Wort des Jahres. Nur was ist der Begriff – Metapher, Hüllwort oder gar Kritik? (Nachtrag 8.6.2012) 

2008 war er schon einmal in aller Munde und schaffte es auf Platz acht der Wörter des Jahres – der Rettungsschirm. Doch damals verwendete man ihn noch zaghaft, zunächst hieß es noch Rettungspaket. Jetzt ist er wieder da, größer denn je. Dieses Jahr bringt ihn die langanhaltende Schuldenkrise der EU fast täglich in die Schlagzeilen; wegen des Umfangs und der Dauer der Krise ist ein Paket zu klein und zu brav geworden – das stellt ja noch der Bote zu, und zwar pünktlich. Der Schirm setzt sich dagegen durch – er bringt die abstrakte, unberechenbare Gefahr zum Ausdruck. Damit ist der Rettungsschirm – neben dem Stresstest – ein Anwärter auf das Wort des Jahres 2011, wenn nicht noch Unvorhergesehenes passiert.

Regenschirm oder Rettungsnetz?

Was für ein Gebilde! Gedacht als vereinfachende Metapher und Hüllwort für einen innereuropäischen Sicherungsfond, klingt es nach Regenschirm, ist aber keiner; es klingt nach Rettungsnetz, ist aber keins. Den Begriff Rettungsschirm hat es bislang nicht gegeben – eine echte Neuschöpfung also. Weil aber gemeinhin formuliert wird, Land xy habe es unter den Rettungsschirm geschafft, können wir annehmen, dass der Regenschirm Ursprungsbild war, und nicht das Rettungsnetz. Wahrscheinlich muss man es übertragen sehen, wie in der Redewendung vom Schutz und Schirm – der Schirm als abstrakter Schutz.

Wenn der Kapitalismus vom Himmel fällt

Hübsch, sich auszumalen, dass Politiker und Journalisten sich so die internationalen Finanzmärkte vorstellen: als sintflutartiges Unwetter. Dazwischen die armen Länder, wie sie unter ihren Rettungsschirmen kauern, die ihnen die reichen Länder solidarisch aufspannen, dabei aber selbst im Regen stehen. So betrachtet kann man in dem Begriff auch Kapitalismuskritik sehen – mit den bösen Ratingagenturen als Regenmachern.

Das indessen machen nur wir Deutschen so. Im angelsächsischen Sprachraum spricht und schreibt man sachlicher vom rescue fund oder wie wir vordem vom rescue package; ein rescue umbrella oder rescue parachute wäre ziemlich denglisch.

Nachtrag (6.10.11): In einer Karikatur zur europäischen Schuldenkrise hat der Zeichner den Rettungsschirm als Fallschirm interpretiert. Ein passendes Bild, weil es das Risiko des freien Falls mit der Sicherheit des Überlebens verbindet.

Nachtrag (8.6.12): Während Spanien Schwierigkeiten bei der Kreditbeschaffung auf den Märkten hat, spekulieren die Medien, ob das Land wohl unter den Rettungsschirm schlüpfen wird. Kein Fall-, sondern ein Regenschirm.

7 Responses to Wird der Rettungsschirm diesmal Wort des Jahres?
  1. […] seit dieser Woche fest: Die verharmlosende Wirkung eines bildhaft-simplifizierenden Wortes wie Rettungsschirm lässt sich noch steigern – durch eine Verwaltungsvokabel wie […]

  2. […] Kandidat für das Wort oder Unwort des Jahres, aber ein Wort im Trend. Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Trends […]

  3. […] die Siegchancen (in diesem selbstredend zweifelhaften Wettbewerb) steigen. Für mich neben dem Rettungsschirm, dem Stresstest und liefern ein ernstzunehmender Kandidat in diesem […]

  4. […] dass der Stresstest ein heißer Kandidat auf den Titel ist, und wundert sich, dass sich der Rettungschirm gar nicht platzieren […]

  5. […] der Unwort-Aktion. Die häufigsten Vorschläge waren Döner-Morde (269-mal), Stresstest (186-mal), Rettungsschirm (136-mal) und Tagesrandzeit (105-mal). Stresstest und Rettungsschirm habe ich auch als Kandidaten […]

  6. […] dominiert, aber sich kein Wort durchgesetzt. Bzw. Begriffe zur europäischen Stabilitätskrise wie Rettungsschirm reichen schön länger […]

  7. […] Blogbetreiber hatte schon früh darauf spekuliert, dass der Stresstest ein heißer Kandidat auf den Titel ist, und wundert sich, […]


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