Verständlichkeit und Klarheit sind zwingende Gebote für gelungene Texte. Wer das Adjektiv immersiv verwendet, geht damit ein Risiko ein. Welche Alternative gäbe es?

Kürzlich ging es um die Planung der weihnachtlichen Aktivitäten. Im Kulturblatt In München, das nach der Pandamie dankenswerterweise noch oder wieder erscheint, stieß ich in der Rubrik Kunst der Dezemberausgabe auf eine zweispaltige Anzeige – s. Scan.

Abbildung der Ausstellungsanzeige

Lang lebe die Legende – doch was ist immersiv?

Unter der Überschrift „Viva Frida Kahlo“ wurde darin mit folgenden Worten für eine Ausstellung der Künstlerin geworben:

„Viva Frida Kahlo“ ist die erste immersive Inszenierung der weltberühmten Werke der legendären mexikanischen Künstlerin, Frauenrechtlerin und Ikone Frida Kahlo.

Nachdem ich das gelesen hatte, dachte ich, den Satz könne ich nicht unkommentiert stehenlassen, kollidiert er doch in mehreren Punkten mit schreiberischen Grundprinzipien.

Der Satz ist mit 20 Wörtern zu lang. Als Faustregel gelten etwa zehn Wörter. Aber das ist nur die Folge anderer Verstöße.

Verständlichkeit: Was ist immersiv?

Wichtiger und ursächlich: Selbstverliebtheit und Eitelkeit des Texters („Guckt mal, mein Vokabular und meine Stilgewandtheit“) führen zu zwei Alliterationen, Unverständlichkeit und Redundanz. Im Detail:

Da ist erstmal die Alliteration immersive Inszenierung. Das klingt nach Wissen, Bildung und soll elegant wirken.  Doch wer Anzeigen textet, sollte sich selbstkritisch fragen, ob er verständlich schreibt. Was darf ich mir als Leser unter immersiv vorstellen? Ich musste in der Wikipedia nachschlagen und fand heraus, dass damit eine virtuelle Umgebung gemeint ist. Wenn man sich das englische Original vornimmt, kommt man auf die deutsche Bedeutung eindringlich. Daraus ergeben sich zwei verständliche Lösungen:

„Viva Frida Kahlo“ ist die erste Inszenierung in virtueller Realität

oder stärker noch

„Viva Frida Kahlo“ ist eine Inszenierung, die durch virtuelle Realität besonders eindringlich wird.

Die zweite Alliteration mit den weltberühmten Werken ist zwar verständlich, aber unnötig, denn die Bedeutung Kahlos transportieren auch das Adjektiv legendär und das Substantiv ikonisch. Womit wir beim nächsten Punkt wären:

Redundant: die legendäre Ikone

In einem sehr frühen, viel geklickten Beitrag von 2012, als das Wort ikonisch noch relativ jung im deutschen Sprachgebrauch war, rätselte ich noch über seine Bedeutung. Inzwischen ist ikonisch das neue legendär. Insofern ist der Texter hier der Versuchung erlegen, seinen Satz mit einer redundanten Formulierung zu füllen, die keine weitere Information liefert, ihn aber unnötig aufbläht. Man könnte also entweder das Adjektiv legendär oder das Substantiv Ikone streichen, ohne etwas zu verlieren; der Satz würde kürzer und wäre damit entlastet.

„Viva Frida Kahlo“ ist die erste Inszenierung der legendären mexikanischen Künstlerin, Frauenrechtlerin Frida Kahlo in virtueller Realität.

Das sind zwar immer noch 17 Wörter, aber der Leser erhält nun die wichtige Information, dass er die Ausstellung mit einer virtuellen Brille auf der Nase erlebt.

Und damit verabschiede ich mich vom Blogjahr 2022. Regelmäßige Leser haben sicher schon bemerkt, dass die Frequenz zuletzt abgenommen hat. Nun, vieles habe ich bereits gesagt, andere Institutionen, Blogs oder Kanäle in sozialen Medien beackern das Feld ebenfalls, und drittens texte ich selbst nicht mehr so viel, sondern strukturiere den Prozess, wie man so unschön sagt. Trotzdem habe ich mir vorgenommen, weiter gelegentlich Beiträge zu schreiben, wenn mich irgendetwas schmerzt, mir gefällt oder es mir sonstwie in den Fingern juckt. 😉

Bis dahin, und vielen Dank für das Interesse.

2 Responses to Immersiv? Eindringliche Warnung!
  1. Comment *…und was bitte meinen Sie mit Pandamie?

    • Hallo Bernd, die possierlichen Tierchen natürlich. 😉 Danke für den Hinweis – den Schreibfehler habe ich korrigiert.


[top]

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.