Der Wunsch nach politischer Korrektheit, taktvoller Formulierung und Inklusion können Texter auf eine Probe stellen. Das zeigen „Drogengebrauchende“ in einer missglückten Pressemitteilung der Stadt Kiel.

Bildschirmfoto der Stadt Kiel mit der Formulierung verstorbene Drogengebrauchende

Verstorbene Gebrauchende: Wenn der Tod zu hart erscheint

Letzte Woche musste die Stadt Kiel ziemlich viel Spott im sogenannten Netz über sich ergehen lassen. Sie erinnern sich: Das dortige Presseamt veröffentlichte eine Mitteilung mit der Überschrift:

Gedenktag für verstorbene Drogengebrauchende

Hier noch einmal der Tweet, hier die Meldung, und natürlich habe ich den Beitrag in einem Bildschirmfoto festgehalten – s.o.

Zu allem Überfluss wurde die Überschrift auch noch grafisch für einen Tweet gestaltet – s. folgenden Tweet.

Die beißenden Reaktionen kamen schnell.

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Blenden wir mal die Häme zahlreicher anderer Wortmeldungen in dem Twitter-Thread aus: In der Sache war die Kritik durchaus berechtigt, weil logisch nicht von der Hand zu weisen ist: Wer tot ist, kann keine Drogen mehr nehmen – das aber legt das Partizip Gebrauchender nahe.

Im Text folgt noch eine Variante, die es nicht besser macht: Gleich in der ersten Zeile ist die Rede von

verstorbenen Drogengebraucher*innen.

Und schon wird das, was eigentlich auf würdevolle Weise Respekt und Gedenken ausdrücken soll, unfreiwillig komisch – oder traurig, je nach Standpunkt. Wie kann es zu so einem Sprachgebrauch kommen, der sich zu einem Kommunikationsdesaster auswächst?

Drogengebrauchende – mögliche Ursachen

Ich sehe

  • die Neigung, besonders takt- und pietätvoll sein zu wollen
  • umgekehrt nicht hart oder geringschätzig zu klingen.
  • den erklärten politischen Willen zur unbedingten Inklusion in der Praxis umzusetzen
  • und schließlich: den Drang, der politischen Korrektheit dringend gehorchen zu wollen.

Oder böser formuliert:

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All das befürchtete man wohl auszulösen, wenn man das Naheliegende geschrieben hätte:

  • Gedenktag für Drogentote oder
  • Gedenktag für tote Drogensüchtige

Denn Drogentote klingen kalt und herzlos, während die Sucht eine Schwäche ist, vor der man nur schwerlich Respekt haben kann – was Experten wahrscheinlich schon wieder anders sehen würden. Auf jeden Fall ergibt sich daraus, auf die Formulierung Drogensüchtige oder –abhängige zu verzichten. Tote Drogenkonsumenten klingt zu hart und nach Meldung, also müssen es verstorbene sein. Konsumenten – igitt, das erscheint banal und oberflächlich. Aber Drogennutzer? Das geht nicht, weil dann nach neuerer Logik nur Männer gemeint sind. Auch Frauen können an Drogen sterben, wenn ich auch nicht die Erkenntnis zurückhalten möchte, dass laut Statista Drogentote im Verhältnis 5:1 männlichen Geschlechts sind. Drogennutzer und -nutzerinnen oder die oben zitierten Drogengebraucher*innen, damit nicht nur zwei, sondern auch wirklich alle Geschlechter eingeschlossen sind? Eignet sich nicht für die Überschrift. Und schon hat man den Salat – Drogengebrauchende. Was also tun?

Kiel hat die Drogengebraucher*innen nicht exklusiv

Mir kam die Sache komisch vor. So ein Gedenktag ist ja heute meist international, also machte ich mich auf die Suche. Eine kurze sogenannte Recherche, also einmal googeln, förderte zunächst zutage, dass auch andere deutsche Städte denselben unglückseligen Wortlaut gewählt hatten. Ich habe hier beispielhaft Würzburg, München und Bonn festgehalten. Am Rande erwähnt: Würzburg wird von der Mainpost angeboten.

Wenn aber mehrere Städte nahezu gleichlautend schreiben, steckt aller Erfahrung nach eine gemeinsame Quelle dahinter. Sei es eine Meldung, die man bereits falsch übernimmt, oder ein internationaler Auslöser, der schlecht übersetzt wurde. Ein zweiter Durchgang bei Google bestätigte meine Vermutung, dass der Gedenktag aus dem angelsächsichen Sprachraum stammt. Das International Drug Policy Consortium, The International Network of People who Use Drugs (INPUD) und UNAIDS begehen schon seit 1998 einen Drug users rememberance day.

Ich habe es schon oft gesagt: Zu wortgenaue Übersetzungen, wie sie in deutschen Redaktionen häufig zu finden sind, machen das Ergebnis sprachlich häufig ungenießbar. Im englischen Original sind schon die Drogennutzer oder –gebrauchenden angelegt, die dann brav ins Deutsche übernommen wurden.

Doch es geht auch anders. Leipzig zum Beispiel wählte den direkteren Weg und entschied sich, von

verstorbenen Drogenabhängigen

zu sprechen. Warum nicht? Ich erkenne in dieser Lösung den Versuch, Mitgefühl auszudrücken. Doch ich habe Anlass zu der Befürchtung, dass der wahrhaft Inklusions-, also Gleichheitsbewegte darin Herabsetzung beklagen wird: Wer von etwas abhängig ist, ist keiner von uns allen, weil wir stark und unabhängig sind. Folglich blicken wir auf ihn hinunter.

Drogengebrauchende – was lernen wir daraus?

  1. Zunächst mal zeigt sich ein weiteres Mal, dass das Partizip Präsens dafür gedacht ist, vorgehende Tätigkeiten zu bezeichnen. Seine merkwürdige Zwitterstellung als Substantiv ergibt sich in letzter Zeit nur daraus, dass eindeutige Geschlechtszuweisungen vermieden werden sollen. An und für sich aber ist das Substantiv hier Mittel der Wahl.
  2. Zweitens wiederhole ich mein Mantra, sinngemäß zu übersetzen. Hier hilft die Frage, was gemeint sein könnte, und nach einem deutschen Äquivalent zu suchen.
  3. Drittens muss man sich klarmachen, für wen man schreibt. Der Fall der Drogengebrauchenden zeigt, dass es in Sachsen leichter möglich ist, die Dinge beim Namen zu nennen als in Bonn, Kiel, München oder Würzburg.
  4. Und viertens: Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Manchmal muss man sich eben doch für eine verständliche oder gebräuchliche Lösung entscheiden, weil die gewünschte nicht nur für die Verantwortlichen blamabel wird, sondern auch die Absicht konterkariert: Nämlich die Würde der Toten verletzt, weil sie sie lächerlich macht.

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