Die Gier wird in Medien sehr unterschiedlich beurteilt. In der Wirtschaft ist sie die Inkarnation des Bösen, im Sport dagegen unbedingte Erfolgsvoraussetzung. Wie geht das zusammen?

Schlagzeile der Süddeutschen Zeitung mit dem Wort Gier

Die böse Gier gefährdet sogar die Demokratie, meint die SZ.

Im Allgemeinen wird die Gier verurteilt. Sie gehört sogar zu den sieben Todsünden der katholischen Kirche, wenn auch mit Blick auf die Habgier, ich gebe es zu.

Das gilt auch für die Medien. Wann immer Manager ihre Bezüge übermäßig erhöhen, Milliardäre von steigenden Aktienkursen profitieren oder sog. Heuschrecken Konzerne filetieren, dann ist dafür die Gier verantwortlich, jenes unbegrenzt scheinende Verlangen nach mehr Ruhm, Reichtum und Besitz. Vor allem von denen, die für eine bessere Welt kämpfen, womit meistens die Gerechtigkeit gemeint ist, wird die Gier besonders streng betrachtet – siehe Bildschirmfoto oben. Oder zum Beispiel bei den Klimareportern. Verdiente, ja hochdekorierte Journalisten, wie zum Beispiel der SZ-Reporter Hans Leyendecker, haben der Gier sogar ganze Bücher gewidmet.

Nur in einem Lebensbereich ist die Gier etwas Gutes – dem Sport. Kürzlich wurde der FC Bayern Deutscher Meister. Warum? Weil „Gier und Energie“ der Mannschaft stimmen, sagte Trainer Nagelsmann, was von der Zeit sogar zu einer Jubelzeile erkoren wurde. Und das von einem Blatt, dass sich üblicherweise als Moralinstanz versteht.

Man hat gesehen, wenn man diese Gier und Energie hat, dann sind wir schon schwer aufzuhalten.

sagte Nagelsmann mit Quellenangabe dpa.

Alle nicken, keinem stößt es auf. Und das ist kein Einzelfall. Lesen Sie hier den Kicker. In einem Beitrag über den Bayernspieler Goretzka heißt es:

Er ist einer, der Elan und Gier reinbringt.

Oder hier, ganz aktuell, wenn N-tv über den überraschenden Champions-League-Finalisten Real Madrid schwärmt:

Es ist die beeindruckende Metamorphose eines Ensembles, das . . .  sich nun über ihre Leidenschaft und Gier definiert.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde diese Doppelmoral komisch, im Sinne von merkwürdig oder bemerkenswert. Wie erklärt sich so ein Widerspruch? Wieso wird die Gier in der Wirtschaft verurteilt, im Sport aber nicht? Warum finden die geschätzten Kollegen dasselbe Phänomen einmal gut, einmal schlecht? Warum messen sie mit verschiedenen Maßstäben?

Gier im Bedeutungszusammenhang

Erinnern Sie sich noch an Rolf Dobellis kluges Büchlein von der „Kunst des klaren Denkens“? Das kann man gar nicht oft genug lesen, weil es ebenso klar wie verständnisvoll die menschlichen Schwächen in Wahrnehmung, Beurteilung und Urteilsfindung behandelt. Obwohl es bereits 2011 erschien, enthält es ein Kapitel über Framing. Darin schreibt der Autor:

Framing (dt. Einrahmeffekt) bedeutet: Auf die gleiche Sachlage reagieren wir unterschiedlich, je nachdem, wie sie dargestellt wird.

Und er bringt ein paar entzückende Beispiele: Von den fallenden Aktienkursen, von denen Wirtschaftsmedien als Korrektur berichten. Von den Managern, die jedes Problem zu einer Herausforderung umdeuten. Oder vom Völkermord, der je nach Interessenlage zur ethnischen Säuberung umdeklariert wird.

Seine Schlussfolgerung ist unbarmherzig, aber eindeutig:

Seien Sie sich bewusst, dass Sie nichts darstellen können, ohne zu framen.

Und damit wäre wohl auch die Gier erklärt. Im Sport sonnen wir uns im Glanz der Athleten, ihrer Anstrengungen und Siege. Das ist gut, und dann ist Gier erlaubt. Bei den Managern denken wir an dicke Bäuche, Zigarren und Luxusjachten – und fällen ein negatives Urteil. Und weil Medienschaffende Menschen sind, geht es ihnen nicht anders als Ihnen und mir.

Zum Glück ist Framing kein Nudging – dann wäre es schwerer zu erkennen.

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