Wenn aus dem Rückgang der Wirtschaftsleistung ein Einbruch wird, lernen wir daraus etwas über die Notwendigkeit der Eskalation der Sprache in Medien. Ein Loblied auf die Verhältnismäßigkeit.

Illustration der Schlagzeile über den Rückgang

Ntv-Schlagzeile: War es ein Rückgang oder Einbruch? (Bildschirmfoto)

N-tv berichtete diese Woche von den jüngsten deutschen Wirtschaftsdaten und titelte:

Deutsche Wirtschaft bricht um fünf Prozent ein.

Ich weiß noch, wie ich angesichts dieser gewaltigen Übertreibung die Stirn runzelte und dachte: „Wenn Sprache eskaliert.“ Was zu der Frage führt: Wann ist ein Einbruch ein Einbruch – oder nur ein Rückgang? Wir gehen bzw. lesen so leicht über Formulierungen wie diese hinweg. Und doch meine ich, es lohnt sich, der Frage der Verhältnismäßigkeit nachzugehen. Los geht’s!

Von der Verhältnismäßigkeit

Machen wir uns die Fakten klar. Fünf Prozent Wirtschaftsleistung weniger als im Vorjahr. Was bedeutet was wirklich? Nehmen wir an, wir reden über Ihr Gehalt. Dann  bedeutet das: Wenn Sie letztes Jahr 100.000 Euro bekamen, sind es in diesem Jahr 95.000 Euro. Ja, es ist weniger, etwa der Gegenwert eines Urlaubs. Aber würden Sie ernsthaft von einem Einbruch sprechen? Ich nicht. Ich würde sagen, der Einbruch beginnt, wenn ich nur 75 bis 80 Prozent des Vorjahres erreiche, also 20 bis 25 Prozent Einbuße hinnehmen muss – alles unter 80.000 Euro, wenn ich vorher 100.000 hatte.

Die Macht der Übertreibung

Sagen, was ist, wirbt der Spiegel auf seinem Titel. Das Beispiel zeigt, dass richtiger wäre: Übertreiben, wo möglich. Fünf Prozent so klingen lassen, als würde die Welt untergehen. Schwarzsehen, Angst machen, Pessimismus predigen. Es wäre naiv anzunehmen, es ginge um die Realität. Vielmehr ist es eine alte Journalistenregel, dass schlechte Nachrichten sich besser verkaufen als gute. Mit der der Verlag Auflage macht, Klicks erzeugt, Reichweite erzielt und Leser bindet. Dafür ist eine Übertreibung, vielleicht sogar die Sensation, notwendig. Und so wird aus dem Rückgang ein Einbruch.

Rückgang: Was wären Alternativen?

Der Duden schlägt als Synonyme für zurückgehen wegbrechen oder schrumpfen vor. Beide sind starke Verben, aber bezogen auf den Sachverhalt zu stark. Erinnnern Sie sich an Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft? Da waren die Kleinen auf einmal nur noch Däumlings-Niveau. Das ist schrumpfen. Aber doch nicht fünf Prozent! Oder nehmen Sie wegbrechen. Stellen Sie sich vor, wie der Boden unter Ihnen versinkt, Sie straucheln und fallen. Geschieht das bei fünf Prozent? Wahrscheinlich nicht, da stolpern Sie vielleicht.
Erinnern wir uns an andere Verben, wie zum Beispiel sinken, wie in „das Schiff sinkt“. In Zeitlupe sehe ich vor mir, wie die Titanic majestätisch ihre Schornsteine neigt und das Heck aus dem Wasser reckt. Schon besser! Und so kommen Sie zu der herrlich sachlichen Aussage
Wirtschaftsleistung sank.
oder
Sozialprodukt sank.
Um im Bild zu bleiben: Die Wirtschaft ist noch nicht untergegangen, aber hat Leck geschlagen. Wobei Letzteres voraussetzt, dass der geneigte Leser weiß, was ein Sozialprodukt ist. Wenn Ihnen das zu kurz ist, ergänzen Sie doch ein Jahr oder eine Prozentzahl – dann wird die Zeile vom Informationswert her gehaltvoller.
Wirtschaftsleistung sank um 5%.
Sozialprodukt sank 2020.
Nun darf dieses bescheidene Exempel nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Übertreibung schon lange ein beliebtes Stilmittel, ja praktisch allgegenwärtig ist. Denken Sie an
  • den Kostentsunami statt der Explosion, die ich bereits im Blog thematisiert habe,
  • die Corona-Diktatur, die unlängst zum Unwort des Jahres 2020 erklärt wurde,
  • den Klimawandel, der sprachlich zur Klimakrise aufgewertet werden soll oder
  • an Entsetzen und Empörung, die in jüngster Vergangenheit in phrasenhafter Monotonie die einzigen Gefühlsreaktionen zu sein scheinen, zu denen Betroffene von was auch immer in der Lage sind.

In diesem Sinne lautet mein Textertipp: Bleiben Sie sachlich und setzen Sie darauf, dass Sie sich gerade damit im Konzert der Lautheit Gehör verschaffen werden.

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