Duzen oder Siezen? Derzeit findet in der Kommunikation ein Umbruch statt. Die Entscheidung über die Anrede kann die Zielgruppe verärgern oder gewinnen.

Die Startseite von Vodafone bringt ein Beispiel zum Duzen

Duzen: Plumpe Vertraulichkeit oder zeitgenössische Kommunikation (Bildschirmfoto)

Die Tage erhielt ich Post vom Otto-Versand, bei dem ich gelegentlich bestelle.

Lieber Kai, begann das Schreiben,

wir haben uns sehr gefreut, dass wir Dich in diesem Jahr bei Otto begrüßen konnten . . .

Und so weiter. Das typische Mailing, das Wertschätzung und Bindung unter einen Hut bringen will, ohne zu plump zu wirken. Neu war nur der Ton: Sie duzten mich. Ich blogge heute darüber, weil ich zugeben muss, das es mich in meinem Fall überrascht hat. Dazu unten mehr.

Otto ist dabei nicht das einzige Unternehmen. Wer einen Abend bei ProSieben oder RTL verbringt, hört das Du in den Werbeblöcken immer öfter. Auch im Netz findet es sich zunehmend – s. das Bildschirmfoto der Vodafone-Startseite.

Der Kluft zwischen den Generationen

Mancherorts plustert man sich über diesen „Kulturverlust“ sehr auf, etwa hier auf Achgut. In dem Beitrag beklagt der Autor den Verlust von Höflichkeit und Distanz. Die Kritik gipfelt in dem Vorwurf,  es werde eine unerwünschte Gleichheit hergestellt, die mit einer Infantilisierung der Sprache einhergehe:

 Das inflationäre „Du“ steht für einen weiteren Baustein für eine politisch sterile Sprache. Mit dem Abschied der Höflichkeitsform und dem steten Verwenden eben des „Du“ reihen sich die Gesprächspartner ein in eine allgemeine Gleichheit . . . die Erwachsenensprache verschwindet.

Ich sehe das entspannter: Wir erleben einen Kulturwandel mit mehreren Ursachen.

  • Im Zuge der Globalisierung bringt die Lingua Franca der Neuzeit, das Englische, einen Verlust der Unterscheidung zwischen Du und Sie zwangsläufig mit sich.
  • Skandinavier sind da auch ungezwungen, wir alle kennen es z.B von Ikea, die schon seit einer gefühlten Ewigkeit und mit größter Selbstverständlichkeit das Du verwenden.
  • Wir duzen uns in Sozialen Netzen.

Diejenigen, die damit nicht groß wurden, sind pikiert – s.o. ; sie wurden noch mit klassischen Medien und Umgangsformen groß und halten das Du ohne sich zu kennen für unhöflich. Doch für die nachfolgende Generation ist es bereits selbstverständlich, weil sie anders sozialisiert wurde. Hier verschieben sich die Gewichte: Mit den Zeiten ändern sich die Sitten. Das mag man beklagen, aber so ist es nun mal.

Duzen: Zielgruppen betrachten

Wer also die Änderung mit wachen Augen wahrnimmt, wird in der Praxis mit ihr umgehen müssen. Aus Textersicht folgt daraus, dass wir uns so genau wie möglich mit dem Auftraggeber über die Zielgruppe verständigen. Je mehr Sie über das Alter und andere Lebensumstände in Erfahrung bringen können, desto genauer sitzt die Tonalität, zu der ich die Frage Duzen vs. Siezen rechne.

Als Faustregel sollte gelten:

  • Je älter die Zielgruppe ist, desto eher ist das Siezen geboten.
  • Je jünger, desto näher liegt das Duzen.
  • Eine Entscheidungshilfe kann der Kanal bieten: Wenn Print, dann eher Sie.

Der letzte Punkt erklärt meine Überraschung beim Otto-Schreiben: Der Brief ist formaler, wozu ein Sie besser passt.

Schwierig wird es bei großen Unternehmen mit einer breiten Zielgruppe. Hier wird Du vs. Sie zur strategischen Frage: Man müsste abwägen, wodurch ein geringerer Schaden bzw. ein größerer Gewinn eintritt.

Duzen: Wo bleibt die KI?

Insofern ist das Vorgehen von Otto nur konsequent. Doch es erklärt noch nicht, warum man ausgerechnet mich duzt. Denn, Achtung: Outing, ich gehöre als Babyboomer zweifellos noch zu einer Generation, die ein Sie für Ausdruck von Respekt und angemessener Distanz hält. Selbst wenn sie bei Otto nicht mein Geburtsdatum kennen, könnten sie aus meinen bisherigen Bestellungen auf mein Alter schließen. Offenbar geschieht das nicht. Dazu passt eine aktuelle Pressemitteilung des Bitkom, nachdem nur ein Prozentanteil im einstelligen Bereich der Unternehmen Künstliche Intelligenz nutzt. Die Ironie: Ein zweistelliger Prozentsatz der Befragten erwartet es. Hier sehe ich ein Einsatzgebiet mit Potential und Handlungsbedarf.

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