Wann ist ein Text gut? Diese Frage ist oft Anlass für endlose Korrekturen. Plädoyer für eine pragmatische Betrachtung auf ökonomischer Basis.

Zu viele Korrekturen kosten Zeit und Nerven

Texte werden durch Korrekturen selten besser. © congerdesign auf Pixabay

Heute mal was Grundsätzliches, ein Frustthema für Texter, Agenturen und Unternehmen. Wo es keine sachlichen Argumente gibt, sondern nur Anhaltspunkte, und darüberhinaus der Geschmack entscheidet, betritt man das Kampfgebiet, in dem persönliche Interessen, Vorlieben und Abneigungen offen oder versteckt aufeinandertreffen.

Ich fürchte inzwischen Sätze, die mit „Ich finde“ beginnen. Gewöhnlich wird mit ihnen die Tür zum Reich des Geschmäcklerischen aufgestoßen, dessen subjektivistischer Sumpf zwischen Willkür und Befindlichkeit allerlei niedrige Gewächse sprießen lässt. Wenn man sich auf dieses Terrain begibt, steckt man schnell bis zur Hüfte im Schlamm. Und niemand hält den rettenden Ast hin. Da hilft dann nur noch Baron Münchhausen. Oder?

Korrekturen aus Agentursicht

Wenn Sie Glück haben, wurde die Zahl der Korrekturdurchgänge vertraglich fixiert und Sie können nach den obligatorischen zwei Runden Autorenkorrekturen abrechnen. Aber das lässt sich nach meiner Erfahrung nur mit Mühe durchsetzen, weil es die Gefahr birgt, dass der Kunde verschnupft reagiert und der Agentur nach Abschluss des Auftrages den Rücken kehrt. Mittelfristig wird die Zusammenarbeit belastet.

Korrekturen aus Kundensicht

Verständlich – der Kunde will Perfektion. Der Verantwortliche oder ein Mitarbeiter will sein Projekt vor Kollegen und Vorgesetzten stolz präsentiert können und keine Angriffsfläche für Spott oder fehlende Durchsetzungsfähigkeit gegenüber externen Dienstleistern bieten. Doch um welchen Preis? Über Leichen zu gehen und den Dienstleister mit immer neuen Anforderungen zu quälen, mag manche Angehörige des mittleren Managements vielleicht sogar innerlich befriedigen. Doch ein Anzeichen von Führungsqualitäten ist dieses Verhalten nicht, denn auf die Dauer werden Motivation und Leistungsbereitschaft untergraben. Das ist nicht nur psychologisch kontraproduktiv, sondern erhöht durch zunehmende Gleichgültigkeit die Fehlerquote.

Der ökonomische Gesichtspunkt

Wie alles unterliegt auch Texten den Gesetzen der Ökonomie, die sich in den Zielen Wirtschaftlichkeit und Effizienz wiederfinden. Damit meine ich nicht mal die Zeit und den Aufwand für die Durchführung von Korrekturen. Die sind ja meistens in den Gemeinkosten eingepreist bzw. in Honorar und Gehalt enthalten. Wobei sich natürlich die Frage stellt, ob man die Zeit nicht produktiver oder effektiver hätte nutzen können.

Und damit wären wir beim Punkt: Dem Aufwand steht nämlich ein Ertrag gegenüber, genauer gesagt zwei.

  1. Einen können wir nicht direkt messen, das ist der (hoffentlich) qualitativ bessere Text. Doch es gibt Anhaltspunkte: Ein oft korrigierter Text liest sich nur selten besser. Ihm fehlt die Geschlossenheit, er liest sich faserig. Je mehr Bearbeiter, je mehr Meinungen und Ansichten, desto stärker wird dieser Effekt.
  2. Den anderen kennen wir sehr gut: Es ist die Aufenthaltsdauer, oder, um es wie Google zu formulieren, die Sitzungsdauer. Diese Kontaktzeit beträgt im Allgemeinen irgendwas zwischen 15 Sekunden und 1:30 Minuten, je nach Länge und Befriedigung der Leseintention. Aus der Kürze dieses Kontaktes ergäbe sich als erste und vielleicht wichtigste Schlussfolgerung, dass sich Korrekturorgien nicht lohnen, weil sie in keinem vernünftigen Verhältnis zum Zugewinn bei der Kontaktzeit stehen. Für 15 Sekunden mehr 6 Schleifen? Ergibt keinen Sinn.

Eine hohe Absprungrate gäbe einen Hinweis auf einen missratenen Text und wäre ein geeigneteres Instrument für eine Ex-Post-Analyse. Die mangelnde Qualität wäre dann aber eine Frage des Aufbaus und des Konzepts, nicht aber von Korrekturen aus der Abteilung „Ich finde . . .“

Fazit: Augenmaß beim Perfektionismus

Das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag von Korrekturen wird nach meiner Erfahung in der Praxis nicht beachtet. Im Vordergrund steht subjektiver Perfektionismus. Es wäre nicht einmal möglich, das Aufwand-Ertrags-Argument dem Kunden gegenüber ins Feld zu führen, man würde es für Arbeitsverweigerung halten. Ich plädiere für mehr Pragmatismus, was bedeutet, ab einem bestimmten Punkt einen Text stehenzulassen. Dieser Punkt sollte eher früh als spät gefunden sein.

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