E-Scooter oder E-Tretroller: Ein neues Verkehrsmittel braucht einen Namen.
Eigentlich wollte ich heute über ein anderes Thema bloggen, aber es ist noch nicht ganz fertig und braucht noch etwas. Also verschieben: Käse, Schinken, Wein und Salami reifen ja schließlich auch. Ein weiterer Grund für den kurzfristigen Themenwechsel: Es gibt aktuellen Bedarf, weil ein neues Ding da ist, das einen Namen braucht, und ich diesen medialen Moment gern dokumentieren möchte.
Der am Tagesgeschehen interessierte Leser wird verfolgt haben, dass die Einführung eines neuen Verkehrsmittels ins Haus steht. Eigentlich ist die Konstruktion alt und meist Kindern vorbehalten, doch im Zuge der Entlastung großstädtischen Verkehrs und einer kleiner, aber entscheidenden Innovation wurde daraus nun ein Fortbewegungsmittel für Erwachsene. Die Rede ist vom E-Scooter, einem Tretroller mit Motor.
Der ist nun schon ein paar Monate in den Schlagzeilen, ich hatte dazu seit Jahresbeginn auch schon ein paar Beiträge auf dem Tisch, und durchgehend war vom E-Scooter die Rede. Ntv zum Beispiel verwendet die englische Variante. Insofern war ich nicht schlecht erstaunt, als die Tagesschau diese Woche umschwenkte und den Namen eindeutschte. In der gestrigen Sendung war vom E-Tretroller zu hören, hier gibt es eine Tagesschau-Fundstelle zum Lesen.
E-Scooter unter Druck
Das bestätigt einerseits die These, dass ein Wort umso stärker in die Zielsprache verwoben wird, je präsenter und/oder häufiger es auftritt. Wir wären in diesem Sinne Zeuge einer Evolution: Zuerst war der Begriff selten und verharrte beim Englischen, dann wurde er häufiger und im Zuge dessen eingedeutscht.
Ökonomisch betrachtet könnte man hinzufügen, unterhalb eines gewissen Verbreitungsgrades lohnt eine Eindeutschung nicht, aber oberhalb kommt sie dann. Die spannende Frage wäre, wann das der Fall ist. Leider muss ich befürchten, dass diese Frage unbeantwortet bleibt, weil Germanisten in der Regel mit Zahlen auf dem Kriegsfuß stehen.
Ich habe da keine Berührungsängste, sondern google erstmal. Der E-Scooter bringt es auf 506 Millionen Einträge, während der E-Tretroller auf 2,17 Millionen Treffer kommt (Stand: 18.5.19). Bei der Interpretation ist Vorsicht geboten: Die erste Zahl beinhaltet auch angelsächsische Webseiten, die zweite wird wachsen, je länger es E-Scooter gibt und je stärker sie sich verbreiten.
E-Scooter: Verständlichkeit vs. Griffigkeit
Die zweite Überlegung zu den beiden Begriffen wäre, dass hier sprachrhythmisch betrachtet die Verständlichkeit vs. Griffigkeit konkurriert. Wie das Rennen ausgeht, ist schwer zu sagen. Vieles spricht dafür, dass die Griffigkeit gewinnt, auch deshalb, weil die Anglifizierung im medialen Sprachgebrauch weiter hoch ist. Vielleicht wird es ja auch der E-Roller, wie hier in der Hamburger Morgenpost? In ihm verbänden sich Griffigkeit und Verständlichkeit.
Schwer vorherzusagen ist auch die Dauerhaftigkeit des Phänomens an sich. Aus Paris hörte man diese Woche, dass die rollenden Stehbretter überall herumliegen. Es gab einen energischen Appell des zuständigen Verantwortlichen samt Verbotsandrohung. Bei Thomas Knüwer las ich ähnlich Skeptisches von seinem Besuch auf der SXSW in Austin (Texas). Agenturkollegen schließlich fürchten ebenfalls, dass die Münchner Bürgersteige demnächst von herrenlosen, teils auch defekten Rollern übersät sein werden. (Hier erkennen Sie auch den Unterschied zwischen Münchner und Hamburger Mentalität.) Ob sich das Leihgeschäft lohnt, ist noch eine ganz andere Frage. Das zeigte sich auch schon im vergangenen Jahr mit den gelben Leihrädern des Anbieters OBikes aus Singapur. Ich selbst füge hinzu, dass ich mit einem sprunghaften Anstieg von Knochenbrüchen, Bänderrissen etc. rechne und sage der orthopädischen Zunft Hochkonjunktur voraus, weil es zu bizarren Unfällen auf den Gehwegen kommen wird.
Die Verbreitung eines Wortes beeinflusst auch die Pluralbildung, wie dieser viel geklickte Blogeintrag zeigt.
[…] die E-Scooter-Marke hive wird perspektivisch in die App integriert“, heißt es einer flankierenden […]
[…] von der Nummer 2 hat kein Mensch gesprochen. Also klar, die E-Scooter ärgern viele und freuen nur die User, aber das Wort Rollerchaos hat niemand benutzt. […]
[…] man es sich am Leibniz-Institut zur Aufgabe gemacht, die Neologismen zu katalogisieren. Flugscham, E-Scooter, Plogging – die Einträge für 2019 finden sich in einer Datenbank namens […]