In der Echokammer von Politik und Medien: Was will man mir mit dem Adjektiv wirkmächtig sagen?
Diese Woche gab der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner dem Mediendienst Meedia ein großes Interview. Darin ging es auch um die Entfremdung von Politik und Medien vom Bürger. Unter anderem sagte Döpfner:
Der Politikstil muss überdacht werden. Das hat zu tun mit einer übertriebenen political correctness, die sich auch in einer entleerten Sprache zeigt.
Wirkmächtig in Medien
Stichwort entleerte Sprache. Ein Modewort aus Politik und Medien ist wirkmächtig. Kennen Sie jemand außerhalb dieser Filterblase (früher hätte man vielleicht Zirkel oder auch Milieu gesagt), der dieses Wort verwendet? Ich nicht. Und ich gedenke es auch nicht zu tun. Ein beliebiges, noch warmes Beispiel (Spiegel online):
Flüchtlinge hätten einen wirkmächtigen Anreiz.
Es ist ein perfektes Beispiel für diese Entfremdung. Man möchte Schreibern und Politikern zurufen, sie sollten reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Das aber geht nicht, dann würden ihre wahren Absichten klar werden. Oder man wäre statt in hohen idealistischen Sphären auf dem Boden nüchterner Tatsachen angekommen. Die eigenen Aussagen verlören an Bedeutung. Man kann sich damit nicht so gut als Bildungsbürger und Angehöriger einer Elite inszenieren.
So wie man zum Beispiel sagen könnte:
Flüchtlinge hätten einen starken Anreiz.
Zu einfach, zu verständlich, zu wenig Pathos. Also zieht man den sprachlichen Elfenbeiturm vor.
Und so sprach Döpfner weiter:
Es hat sich eine beredte Sprachlosigkeit entwickelt, weshalb ich für mutiges, konkretes und saftiges Formulieren plädiere.
Gut so. Das geht ja auch, wenn man nur will. Für wirkmächtig gibt es zahllose einfache Lösungen (=Synonym): Wie wäre es mit wirkungsvoll?
Wirksam schlägt der Duden vor, der das Wort seit 2006 führt. In der Sonderpublikation „Unsere Wörter des Jahrzehnts: 2000 – 10“ (sind elf Jahre, macht aber nichts) wird neben wirksam und stark noch
sehr groß
als Synonym vorgeschlagen.
Wirkmächtig in der Politik
Oder hier, ein Beispiel der Grünen:
Das weltweite Wirtschaften hat dazu geführt, dass Regeln . . . ihre Verbindlichkeit und Wirkmächtigkeit verloren haben.
Wenn Sie mich fragen, klingt das nicht gerade volksnah und sympathisch, sondern abgehoben. Desorientierten VWL-Studenten wie David, die nach einer Bedeutung für das substantivierte wirkmächtig suchen, möchte ich Stärke, vielleicht auch Durchsetzungsfähigkeit oder Einfluss zurufen. Den Grünen natürlich auch.
Sie finden, wirkmächtig klingt größer, und hat auch einen unheimlichen, dunklen Unterton? Da gehe ich assoziativ mit. Das liegt am Umfeld des Wortes, das offenbar vorwiegend in Sozialwissenschaften und in der Psychologie vorkommt. Das würde dann indirekt die These belegen, dass es im Journalismus heute weniger auf Berichterstattung als auf Haltung, Aktivismus und Empörung ankommt.
Wirkmächtig gesamt
Für den harten, sprich zahlenbasierten Überblick habe ich wirkmächtig im DWDS, dem Wortauskunftssystem der deutschen Sprache, auswerfen lassen. Die Kurve zeigt einen deutlichen Anstieg in der Verwendung in den letzten 50 Jahren. Das passt zur These, dass sich in dieser Zeit Sozialwissenschaften und Medien in der öffentlichen Sphäre stärker ausgebreitet haben.
Vielleicht verschwindet der Spuk ja wieder. Hilfreich ist inzwischen auch nützlich. Amazon hat hilfreich übrigens kürzlich klammheimlich gegen nützlich in seinem Bewertungsbutton ersetzt. Der richtige Schritt, wie ich meine, denn ein ungebräuchliches wurde durch ein gebräuchliches Wort ersetzt.