Plakate sollten gut zu lesen sein. Manche verwirren aber nur – wie das zum Clickarillo. Was ist das? Und was will mir der Text sagen?
(30.6.2018, Aktualisierungen 13.7. und 20.7.2018) Kennen Sie den Kinofilm „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“? Den sollten Sie sich bei Gelegenheit anschauen, wenn Sie es nicht schon getan haben. Nicht nur wegen des Films als solchem, sondern weil Sie daraus lernen können, welche durchschlagende Kraft, vielleicht sogar verheerende Wirkung Plakatwände entfalten können.
Vorausgesetzt man gestaltet griffig und textet knackig auf den Punkt. So wie die Drehbuchautoren von „Three Billboards“ es getan haben. Auf den drei Plakatwänden heißt es direkt hintereinander:
Raped while dying
Still no arrests?
How come, Chief Willoughby?
Drei, vier Worte in Schwarz auf rotem Grund – das lässt sich einfach, schnell und gut wahrnehmen. Und provoziert in dem Film derart, dass eine, sagen wir, sehr dynamische Entwicklung zwischen den handelnden Personen entsteht. (Ich möchte nicht zu viel verraten; es lohnt sich.) Okay, die Leser der Plakate kennen sich persönlich und sind keine anonymen Kunden eines Konsumguts. Und okay, der Inhalt hat Sprengkraft: Vergewaltigung, Tod, darauf eine persönliche, öffentliche Anklage. Aber trotzdem. Wording und Gestaltung sitzen.
Das Clickarillo im Lucky-Strike-Plakat
Womit wir bei der aktuellen Lucky Strike-Kampagne wären. Neulich, die deutsche Fußballnationalmannschaft war gerade ausgeschieden, ging ich in der Nachbarschaft spazieren, um die Ereignisse auszutreten, und stieß auf dieses Plakat – s. Bildschirmfoto.
Mein Blick fiel auf das erste Wort – und ließ mich stutzen. Clickarillo? Was sollte das sein? Vielleicht würde der weitere Text Aufschluss geben.
Dosenstechen trifft Beer Pong
Nicht direkt. Ehrlich gesagt, wurde meine Verwirrung gesteigert: Dosenstechen? Beer Pong? Was ist das? Für Wissbegierige: Dosenstechen ist eine Methode, mit der eine Getränkedose besonders schnell ausgetrunken werden kann. Es kann Grundlage für ein Trinkspiel sein, bei dem auf Zeit getrunken wird. Beer Pong ist ein ebenfalls Trink- und Geschicklichkeitsspiel aus den USA. Das war mir vom Vokabular her schon nicht geläufig. Und was hatte das mit dem Produkt zu tun? Und was ist das für ein Produkt? Denn da stand als eine Art Claim auch noch:
Cigarillo trifft Click
Hä? Das las sich doch sehr nach einer dicken Rolle. Am nächsten Tag Crosscheck im Kollegenkreis – AD, Bildbearbeiter, Onliner, Senior Editor. Vielleicht war ich der einzig Begriffstutzige. Allgemeines Kopfschütteln und Rätselraten. Einer, der Zigarillos raucht, konnte sich nicht erklären, wie oder ob es nun ein E-Zigarillo gäbe und, falls doch, wie es funktionieren sollte. Ein anderer gab zu bedenken, wenn es Ziel der Kampagne sei, neugierig zu machen, so sei wenigstens das gelungen. Dem stimme ich zu. Doch was nützt Neugier, wenn man nicht weiß, worauf?
Was ist ein Clickarillo?
Also ein E-Zigarillo? Nicht ganz. Offenbar handelt es sich um ein im November 2017 eingeführtes Filterzigarillo. Man stelle sich ein herkömmliches Zigarillo mit einer Aromastoffkapsel im Inneren vor, die per Klick auf den Filter aktiviert wird und einen Geschmack aktiviert. (Ein Artikel im Münchner Merkur erklärt es genauer.) Jetzt verstehe ich Cigarillo trifft Click besser. Auf der BAT-Webseite, dem Lucky-Strike-Hersteller, ist dazu übrigens nichts zu finden. Wussten Sie, dass man sich auf Zigarettenseiten registrieren muss, damit man sie betreten kann? Schauen Sie mal hier bei Lucky Strike. Sollten Sie die Muße haben oder bereits registriert sein, benachrichtigen Sie mich doch bitte unter mail@better-media.de, ob die Seite Information zu diesen Zigarillos enthält.
Selbst wenn man die überfrachtete Gestaltung mit zu vielen Elementen und verwirrendem Text so freigibt, wäre doch die Frage zu stellen, warum man daraus keine Crosschannel-Kampagne macht. Ich sehe keine URL oder einen QR-Code. Damit wäre die Chance gegeben, andere Verwirrte außer mir aufzuklären.
Dass das Rauchen, oder besser: Dampfen von E-Zigaretten eine Genussform mit Potential ist, habe ich gerade auf den Signs-Awards erfahren, wo BAT-Manager Ralf Wittenberg erläuterte, wie gering die Gesundheitsrisiken durch E-Zigaretten sind. (Wittenberg erhielt den Preis für Transparenz in der Kommunikation. Ich habe das in einem Blog-Eintrag auf Luxury-Insights festgehalten.)
Warum Clickarillo?
Spießer Alfons, das Pseudonym des früheren Bauer-Werbeleiters Harald Dzubilla, diskutiert in seinem Blog eine Variante der Kampagne. Text:
Polaroid trifft Selfie.
Hier wird die Botschaft klarer, weil das Vokabular auf Anhieb verständlich ist: Analog trifft digital, alt trifft neu, anzuwenden auf das Rauchen in neuer Form. Alfons’ scharfe Schlussfolgerung, nach der Werber im Selbstversuch beweisen würden, dass Rauchen das Gehirn vernebelt, scheint mir daher überzogen. Ich würde sachlicher formulieren, dass diese Kampagne zuviel wollte (Originalität! Kreativität!) und von ihren eigenen Anspruch erdrückt wird.
(Aktualisierung, 13.7.18) Ich habe in der Stadt zwei weitere Textvarianten gesichtet.
Schneidersitz trifft Russenhocke
Couchpotato trifft Pauschalurlaub
(Aktualisierungen, 20., 24. & 27.7.18) Noch drei Varianten:
Anrufbeantworter trifft Sprachnachricht.
Kaffeeklatsch trifft Gruppenchat.
Romantikerin trifft Tinderrella.
Auch in diesen Fällen versteht man die Aussage, sofern man weiß, dass die Russenhocke eine Pose mit dem Ziel ist, cool und männlich zu wirken, und eine Tinderella die Nutzerin des Online-Datingdienstes Tinder, einer App, die für ihr oberflächliches Auswahlverfahren durch Wischen bekannt ist.
Anspruchsvoll bleibt die Gesamtgestaltung trotzdem, unmittelbar erschließen tut sie sich nicht.
Auch die Plakatkampagne für die E-Zigarette Vype war schon so seltsam, dass sie mir einen Blog-Eintrag wert war.
Meine Güte geht es noch verschwurbelter?
Sie wollen gar nicht zum Punkt kommen oder? Das Three Billboards Beispiel ist komplett überflüssig
Hallo Sebastian, so unterschiedlich können Geschmäcker sein. Eine Korrekturleserin hat den Einstieg mit den Three Billboards sogar noch gelobt. – Daneben hat er eine Funktion. Er beschreibt die Kriterien, die ein Plakat gut machen. Das Clickarillo-Beispiel ist so ziemlich das Gegenteil davon. Dies wird nach dem einführenden Beispiel m.E. umso klarer.