Angela Merkel beeinflusst die Sprache. „Ich glaube, das widerspiegelt sich“ – diese denkwürdige Formulierung der Bundeskanzlerin zu ihrer Wahl ist mir einen Eintrag wert.

Es war eine Weile ruhig, medial tat sich wenig, doch diese Woche brachte sprachtagebuchwürdigen Stoff. Der Anlass war formell: Angela Merkel wurde zum vierten Mal zur Bundeskanzlerin gewählt.

Bundeskanzlerinnenwahl in der FAZ

Damenwahl: Wenn der Unterschied zwischen Amt und Person verwischt (Bildschirmfoto)

„Bundeskanzlerinnenwahl“

Nachdem eine Frau vor dem Bundesgerichtshof mit dem Versuch gescheitert ist, ihre Bank zu zwingen, sie nicht als Kunden, sondern als Kundin anzusprechen, ist der Unterschied zwischen grammatischem Geschlecht kurzfristig an die Oberfläche des öffentlichen Bewusstseins gerückt.

Das ist gut, denn dieser Unterschied ist auch für die Wahl des Bundeskanzlers wichtig. Das Wort für das Amt hat grammatisch männliches Geschlecht („der Bundeskanzler“), die Inhaberin des Amtes ist leibhaftig weiblichen Geschlechts, weswegen wir eine Bundeskanzlerin haben.

Von einer Bundeskanzlerinnenwahl zu sprechen, wie die FAZ es tut, ist daher eine bedauerliche Fehlformulierung. Wenn Sie genauer darüber nachdenken, stellen Sie fest, dass dieses Wort bedeutet, dass nur Frauen gewählt werden können. Zugegeben, es gab keinen männlichen Gegenkandidaten, aber Sie verstehen das Prinzip. Hier wurde das Amt besetzt – es handelte sich also um eine Bundeskanzlerwahl. (In der Wikipedia finden Sie zum Unterschied zwischen Amt und Inhaber noch einige erfrischende Bemerkungen.)

Widerspiegelt im ARD-Interview

Versprecher oder Marotte? „Es widerspiegelt“ (Bildschirmfoto der Transkription)

Widerspiegelt

Die Kanzlerin hat ja schon mehrfach die Sprache geprägt, etwa mit ihrer Formulierung von alternativloser Politik oder der Verwendung des Adjektivs hilfreich in Verbindung mit wenig. Politiker sind generell Gegenstand von Wortschöpfungen, wenn Sie an wulffen denken. Allerdings waren die letzte Kreationen, wie etwa spahnen, (was die Anmaßung bezeichnet, sich als Gutverdiener zum Leben auf Hartz-IV-Niveau zu äußern), oder lindnern (kurzfristig aus etwas aussteigen, sich damit der Verantwortung entziehen) lahme Aufgüsse mit nur kurzer Lebensdauer.

Als Frau Merkel am 14. gewählt wurde, haben zwei ARD-Mitarbeiter sich in der Sendung „Farbe bekennen“ mit ihr unterhalten (Transkription des Wortlauts). Da sagte sie den seltsam konstruierten Satz:

Ich glaube, das widerspiegelt sich aber auch in dem, was wir uns erarbeitet haben.

Was immer sie damit sagen will: Bemerkenswert ist der Satz deshalb, weil ein zusammengesetztes Verb wie widerspiegeln in zwei Teile getrennt wird, wenn man es konjugiert (beugt). Üblich wäre es so gewesen:

Ich glaube, das spiegelt sich aber auch in dem wider, was wir uns erarbeitet haben.

Nun gibt es seit einigen Jahren die Entwicklung, das Verb nicht mehr ans Ende, sondern in die Mitte zu stellen. Dies tat aber vor allem der politische Gegner, z.B. in Gestalt von Peer Steinbrück. Dieser eigenwillige, vermeintlich progressive, aber grammatisch doch recht falsche Gebrauch „Es widerspiegelt“ scheint mir eine Notiz wert. Versprecher? Danach klang es nicht. Marotte? Anbiederung? Nachlässigkeit? War sie gedanklich davor, „es widerspricht sich“ zu sagen? Deuten lässt es sich mehrfach und nicht eindeutig. Ich bin gespannt, ob es Imitatoren oder Wiederholungen geben wird.

One Response to Es widerspiegelt die Bundeskanzlerinnenwahl
  1. […] für süß auch nicht, „ich küsse Dein Auge“, „Snackosaurus“ und erst recht „lindnern“ „sagt wirklich kein Mensch“. Nun ja, nicht auszuschließen, dass auch Erwachsene mitgestimmt […]


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