Wir sind nicht nur schon lange wieder wer, sondern auch immer mehr – denn im öffentlichen Sprachgebrauch ist das Wörtchen „Wir“ auf dem Vormarsch. Dies belegt auch die Slogans-Datenbank. 

Wir dreimal in den Top Ten der häufigsten Worte platziert

Wir in der Werbung: Der Mensch tritt in den Vordergrund (Bildschirmfoto)

Wenn man in der Abgeschiedenheit des häuslichen Arbeitszimmers seine Beobachtungen macht und mit der Welt teilt, kann man nie ganz sicher sein. Bildet das, was ich wahrnehme, auch das ab, was ich belegen will? Sind die Daten, die ich sammle, geeignet, die Hypothese, die ich aufstelle, zu stützen oder zu widerlegen? Oder messen sie etwas ganz anderes? Ich will nicht sagen, dass ich vom Zweifel zerfressen bin, aber gelegentlich nagt er an mir.

Umso schöner, wenn sich dann von unverhoffter Seite eine Bestätigung für das eigene Tun und Trachten einstellt. So wie diese Woche, als mir per Newsletter das Slogometer 2017 in den Postkorb flatterte. Darin wurden die häufigsten Wörter in Werbeslogans ermittelt.

Wir in der Werbung

Demnach sind die Worte „Mehr“, „Einfach“, „Wir“, „Your“ und „You“ die häufigsten Begriffe 2017 in neu eingeführten Werbeslogans im deutschsprachigen Raum. Und das sagt nicht irgendjemand auf Basis einer kleinen Privatstatistik. Vielmehr basiert das Ranking auf der aktuellen Wortstatistik der Slogans.de-Datenbank.

Dazu erläutern die Verfasser:

Bleibendes „Wir“-Gefühl: Das Wort „Wir“ hatte im Ranking der häufigsten Wörter in Werbeslogans nach Rang 6 in 2014 den Rang 1 in 2015 erklommen und sank . . . 2016 auf Platz 3. Diesen Rang kann das Wort auch im aktuellen Ranking 2017 verteidigen. „Wir“ als eines der häufigsten Wörter in der Markenpositionierung bleibt ein Zeichen des Gemeinschaftssinns und des Wunsches nach mehr Zusammenhalt und Verbundenheit.

(Die gesamte Meldung hier).

Wir in den Medien

Wasser auf meine Mühlen. Mich ließ speziell das „Wir“ aufhorchen, weil ich darüber schon öfter gebloggt habe, mit der Tendenzaussage, dass die Redaktionen mit dem „Wir“ eine Persönlichkeit, Identität und kollektives Wesen definieren, die ja so eigentlich gar nicht existiert. Klar, da ist der Markenname der Publikation, für die sie schreiben. Ob „Tina“, „Gala“ oder „Hörzu“: Sie könnten diesen Namen benutzen, wie es ja auch lange praktiziert wurde, doch sie verzichten darauf und nennen sich „Wir“.

Wir in der Politik

Dazu kommt das „Wir“ in der politischen Debatte. Und damit – nur kurz angerissen –

  • die betonte Neigung zum Konsens in der Politik,
  • die Ächtung von Streit und Auseinandersetzung, die doch etwas Klärendes und Konstruktives haben kann,
  • die Betonung des „Zusammenhalts“ in der öffentlichen Debatte,
  • die Nutzung des Wortes „Spaltung“, wo man früher Streit, Meinungsverschiedenheit oder auch Zerwürfnis gesagt, oder, verbal, von zerstritten gesprochen hätte.

Diese sprachliche Polarisierung ist tatsächlich interessant: Im Bienenstock ist es kuschelig warm, und draußen, wo der Bär die Spaltung betreibt, herrschen Temperaturen um den Gefrierpunkt. Man könnte also auch die These aufstellen, dass diejenigen, die von „Wir“ einerseits und „Spaltung“ andererseits sprechen, genau das schaffen, was sie kritisieren.

Wir im Sport

Nur im Sport ist das „Wir“ noch nicht angekommen. Wenn ich an Fußball denke: Da sprechen die Reporter immer noch tapfer von „den Deutschen“ oder „der deutschen Mannschaft“. „Wir“ sagte man in meiner Erinnerung in den Fünfziger Jahren, zu Zeiten der Helden von Bern. Wahrscheinlich gälte „Wir“ als Ausdruck von Nationalismus. Ausnahme: Wir darf verwendet werden, wenn ein Spieler oder Trainer im Interview über die eigene Mannschaft spricht.

So entsteht im öffentlich-medialen Raum die Illusion eines großes Miteinanders, der indirekt den Schulterschluss zwischen dem Sprecher oder Texter und dem Leser herstellt, ohne dass mir recht klar ist, worauf dieser Effekt eigentlich beruht. Massenpsychologie, klar, aber wie kommt eine solche Bewegung, ein solches Gefühl in einer Gesellschaft zustande? Hier endet mein Reporterlatein, ich übergebe an den Fachbereich Soziologie.

Mein erster Blogbeitrag zum Wir.

One Response to Wir sind wieder mehr
  1. […] Wir-Aussage ist dabei ein Ansatz, der im Trend liegt. Hier geht’s zu einem weiteren Beitrag […]


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