Der zweite Konjunktiv des Monats war wieder in einem aktuellen Roman enthalten: Führen statt fahren würden. Selten, elegant, in diesem Fall sogar doppeldeutig – Konjunktive ohne würde machen Spaß.

Dass Lesen bildet, ist erstmal nichts Neues, aber wahr. Gerade bei der Lektüre von Literatur bietet sich häufig die Gelegenheit, auf Perlen sprachlicher Schönheit zu stoßen, die auch das eigene Schreiben zieren können. Deswegen habe ich mich nach dem Zuspruch auf den „Konjunktiv des Monats“ im letzten Herbst zu einer weiteren Folge entschlossen.

Wieder fand ich das gute Stück in einem Roman. Es handelt sich um „Diese gottverdammten Träume“, das im Original so genial wie unübersetzbar „Empire Falls“ heißt. (Die Unübersetzbarkeit rührt daher, dass die Stadt, in der der Roman spielt, wie das Sprichwort „Empire Falls“ heißt – die Doppeldeutigkeit ist schwer ins Deutsche zu retten.)

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Führer in die wunderbare Welt der Konjunktive: Diese gottverdammten Träume

Deutsch ist im Konjunktiv eine würdelose Sprache

Auf S. 720 der gebundenen Ausgabe heißt es:

Und da Tick (Name einer Romanfigur, Anm. d. Red.) nicht gefragt hatte, wohin sie führen, gab es auch keinen Grund für irgendwelche Erläuterungen.

Führen, wie schön. Jede Wette, dass 95 Prozent aller Übersetzer statt führen fahren würden geschrieben hätten. Es freut mich, dass die Übersetzerin Monika Köpfer sich an den beliebten Deutschlehrer-Grundsatz erinnert hat, demzufolge Deutsch eine „würdelose Sprache“ ist. (Oder sei, wenn sie den Grundsatz konjunktivisch in indirekter Rede wiedergeben wollen.)

Konjunktiv und Infinitiv in einem Wort

Bemerkenswert ist darüberhinaus, dass der Konjunktiv führen gleichzeitig (und nicht etwa zeitgleich) ein Infinitiv ist, aber mit ganz anderer Bedeutung, im Sinne von leiten.

Credits und Kudos gehen neben der Übersetzerin an den Lektor des Dumont-Verlages, der es vermieden hat, führen in fahren würden zu redigieren. Womöglich noch mit dem Argument, nur dadurch werde der Konjunktiv eindeutig von dem Infinitiv unterschieden. Wobei ich gern einräume, dass führen der Hauch des Altmodischen umweht. Andererseits: Fahren würden ist so gewöhnlich, dass ich führen allemal vorziehe.

Hier geht’s zur ersten Folge, in der Sie auch einige grundsätzliche Bemerkungen zum Gebrauch des Konjunktivs finden.

P.S. Der Roman, der bereits 2002 den Pulitzer Preis gewann, erschien auf Deutsch erst 2016. Wenn Sie sich für die gesellschaftliche Entwicklung in den USA interessieren und Humor, Herz und Hirn schätzen, sind Sie mit diesem Buch auch außer den Konjunktiven gut beraten.

4 Responses to „Wohin sie führen“ – Konjunktiv des Monats
  1. Natürlich ist “fahren würden” über die Maßen scheußlich. Aber den Satz “Wobei ich gern einräume, dass führen den Hauch des Altmodischen umweht” müssen Sie noch mal durchbürsten; da sind u.a. Subjekt und Objekt durcheinandergeraten.

  2. […] als Beispiel für einen Spracheintrag benutzt habe, dann liegen Sie richtig. Es ging um den Konjunktiv des Monats, und das Buch war Richard Russos „Empire […]

  3. […] Mehr Konjunktive? Hier geht’s zum Liebling des Monats November. […]


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