In der Berichterstattung über berufliche Veränderungen ist die Seefahrt als Metapher beliebt: Man heuert an, man geht an oder von Bord – und bringt sich dabei ohne Not in, Verzeihung: Seenot. Ursache für die schiefen Bilder und Reflexe ist das Onboarding.
(19.7.2017, aktualisiert am 7.7.2018) Ist die Karriere denn ein Ausflug auf einem Musikdampfer oder eine Expedition ins Unbekannte? Man möchte es meinen, wenn man die Berichterstattung über berufliche Veränderungen verfolgt. Über die könnte man doch ganz sachlich berichten, z.B. so:
Max oder Barbara Mustermann beginnt einen neuen Job. Als was, wissen wir nicht, aber irgendwas mit Medien oder im Vorstand.
Bloßes Handwerk, das am besten die sechs w´s möglichst knapp und doch umfassend beantwortet: Wer, was, wann, wo, wie, warum. Wobei, zugegeben, in dem Zitat oben das wann, wie und warum offenbleiben.
Die Neigung zum Bild
Doch so läuft das nicht. Vielleicht gilt die Nachricht als solche als zu nüchtern und damit langweilig. Sie braucht mehr, sie braucht ein Bild. So wird etwas so Einfaches wie ein Jobwechsel metaphorisch veredelt. Metaphern aus der Seefahrt haben Konjunktur: Eine Seefahrt, die macht lustig, eine Seefahrt, die macht schön.
Wahrscheinlich, weil die Seefahrt reiche Assoziationen weckt: Der Arbeitsmarkt als Meer, die Karriere auf Kurs, der neue Mann, zumal in Führungsposition, als Lotse oder Kapitän, der das Unternehmen geschickt durch den Wechsel der Gezeiten bugsiert etc. pp. Jedenfalls steht gefühlt in jeder zweiten Meldung sowas – s. Bildschirmfotos.
So scheinen auch Redakteure zu denken, wenn sie über Jobwechsel berichten. Wie schon öfter notiert, neigen Schreiber dazu, in fertigen Phrasen zu denken, statt zu überlegen, wie sie einen Sachverhalt formulieren wollen. Ich will einräumen, dass ich den Reflex kenne, inzwischen aber gelernt habe, nochmal nachzudenken, ihn zu identifizieren und auszumerzen.
Dies Phänomen ist nicht auf Mediendienste begrenzt, bei denen man hätte mutmaßen können, die Schreiber seien zweitklassig. Auch in den sog. Qualitätsmedien ziehen Redakteure ihrem Gegenstand sprachlich gern die dunkelblaue Uniform mit dem adretten Mützchen an:
Ehemaliger Bahnchef heuert bei Lazard an
titelt z.B die FAZ. Nun ist Rüdiger Grube weder Matrose noch Kapitän – hierher stammt anheuern ursprünglich. Wie wäre gewesen
Ehemaliger Bahnchef wechselt zu Lazard.
An Bord sein und bleiben
Theoretisch hätte er also auch bei „The Voice“ weiter an Bord bleiben können.
Von Bord gehen
Was Sie als Texter daraus lernen können
Onboarding als Ursprung
das Einstellen (oder die Personalbeschaffung) und die Aufnahme neuer Mitarbeiter durch ein Unternehmen und vor allem alle Maßnahmen, welche die Eingliederung (Integration) fördern,
wie die Wikipedia nicht sehr elegant, aber sachlich treffend definiert. So wird ein Schuh draus, und besser spät als nie ergänze ich diesen nicht ganz unwichtigen Aspekt. Das Ggenteil zu onboarding ist offboarding, was ja wie die Faust aufs Auge zum DWDL-Beispiel passt.
Gestatten Sie mir abschließend die kritische Bemerkung, dass ich persönlich diese naheliegenden, wörtlich-phonetischen Eindeutschungen grässlich finde, weil sie wenig sprachliches Abstraktionsvermögen verraten. Schon deshalb würde ich sie vermeiden. Inzwischen gibt es davon so viele, dass man sie fast schon reflexhaft verwendet. Was es nicht besser macht, sondern der schreibenden Zunft ein immer schlechteres Zeugnis ausstellt. Das zeigen auch die häufig verwendeten falschen Freunde, etwa wenn Act als Akt, notorious als notorisch, night als Nacht, harsh als harsch oder mean als meinen interpretiert wird.