Von violetten Duftnoten und dem Denken beim Schreiben und Lektorieren.

Perfektes Leben mit violettem Duft: Wie geht das? (© Hanser Verlag)

(23.3.2017, Nachtrag 26.3.2017) Lesen bildet, heißt es. Dem würde ich nicht widersprechen. Doch zuviel Lesen bekommt auch nicht immer, denn offenbar schläfert es ein und fördert die geistige Trägheit. Klingt hart, weiß ich, aber hier kommt der Fall, bitte anhören.

Ich lese gerade eine Neuerscheinung aus dem Verlag Nagel & Kimche, einer Hanser-Tochter, Titel „Das perfekte Leben des William Sidis“, eine fiktionalisierte Biografie des gleichnamigen Mathematikers, aber das tut nichts zur Sache. Spannender ist die Tatsache, dass das Buch auf Dänisch geschrieben wurde. (Ich dachte zuerst, auf Englisch, da Sidis Amerikaner ist, und der Autor mir nicht bekannt war.)

Ziemlich am Anfang wird die damalige Zeit beschrieben, die Weltkriegsvierziger in Boston. Es ist die Rede von einem Parfum. Wie wird nun der Duft des Parfums beschrieben?

William verabscheut den Geruch von Persian Lamb, seine schwere violette Note.

Ein violetter Duft. Als ich das las, fragte ich mich unwillkürlich: Wie riecht violett? Dann erinnerte ich mich an mein englisches Spezialvokabular (und ich bin kein professioneller Übersetzer): Violet ist nicht nur eine Farbe, sondern ein Veilchen. Nun wurde, wie gesagt, der Roman nicht auf Englisch, sondern Dänisch geschrieben. Ich schlug bei Langenscheidt nach: Das Veilchen heißt viol. Es muss doch wohl heißen:

William verabscheut den Geruch von Persian Lamb, seine schwere Veilchen-Note.

Wie ist das möglich? Schlafen denn alle? Lassen sie sich einlullen? Werden sie vor Verliebtheit in Sprache blauäugig? Man möchte es meinen, denn der denkende Geist rebelliert sofort. Soll diese Formulierung ein Ausdruck besonderer Poesie sein? Für mich ist es nicht mehr als ein schiefes Bild.

Die Gutgläubigkeit der Organisation, . . .
Den Übersetzer will ich nicht angreifen. Man stelle sich einen Stapel eng bedruckter DIN A4-Blätter vor, die Zeile für Zeile, Seite um Seite, ins Deutsche übertragen werden müssen. Stunden, Tage monotoner, ermüdender Tätigkeit, jeder Anruf, jedes Ping einer Mail lenkt ab und bringt raus. Sich da nicht von der Ausgangssprache vereinnahmen zu lassen, ist eine Leistung für sich. Nein, dass dieser Lapsus auf Papier verewigt wurde, sagt mehr über die Organisation aus und wie sich deren Angehörige sehen. Neben der Übersetzung gibt es ein Lektorat, dann eine Hauskorrektur – drei Instanzen haben insgesamt drübergelesen. Vielleicht wurde die Assoziation auch durch das zweite Adjektiv getragen, die schwere Note, die ja auch gleich etwas Dunkles hat. Violett -> wie blau -> dicht, schwer ->melancholisch -> resigniert -> hoffnungslos. So oder ähnlich könnten die Gedanken gehen. Und ergibt die Übersetzung dann nicht wieder Sinn?

 . . . die Trägheit des Geistes
Dennoch: Dies ist ein Buch, Bücher haben eine lange Halbwertszeit. Das erhöht die Verantwortung. Die Macher im Buchbetrieb sind in der Regel Akademiker. Ironischerweise Angehörige einer Altersklasse, denen in der Schule kritisches Denken beigebracht wurde. Gern kreative Schöngeister. Aber satt und zufrieden. Keine Skepsis, kein Misstrauen, keine Wachsamkeit. Man vertraut einander.  Jemand wird es schon merken, wenn was ist. Winken durch, was ihnen vorgesetzt wird. Eine violette Note . . . ist das nicht auch irgendwie kreativ? Und schon ist es gedruckt.

Ich sage regelmäßig (auch mir selbst): Vor und beim Schreiben denken. Das bedeutet: Über den Sinn des Geschriebenen nachzudenken. Ergibt es keinen, müssen die Alarmglocken angehen. Im Zweifel habe ich einen Fehler gemacht.

Die gute Nachricht: Literaturübersetzungen können auch Spaß machen.

(Nachtrag, 26.3.2017) Nicht auszuschließen, dass im Original violet stand. Dann aber lautet die Schlussfolgerung, dass der Autor ein schiefes Bild produziert hat. Als Übersetzer hätte ich dann die Wahl zwischen der Entscheidung, den Fehler im Deutschen zu erhalten oder ihn durch einen sanften Eingriff auszumerzen.

One Response to Der Duft der Veilchen
  1. […] Abgesehen davon ist „Glück ist eine Gleichung mit 7“ ein originelles, trotzdem und deswegen lesenswertes Buch. Mehr davon? Gut war vor ein paar Wochen der violette Veilchenduft. […]


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