Wie aus dem englischen Hate crime Hassverbrechen wurden, die doch eigentlich Vorurteilsverbrechen sind. Diese Wortwahl könnte die öffentliche Debatte in Deutschland beruhigen – wenn dem nicht handfeste Interessen entgegenstünden.

Die FRA nennt Hate Crime Hassverbrechen

90 Mitarbeiter – und das Ergebnis sind „Hassverbrechen“ (Bildschirmfoto)

(17.12.16, Nachtrag 12.5.2017) Neulich stolperte ich in den Nachrichten über ein Wort, dessen Sinn sich mir nicht erschloss: Hassverbrechen. (Fundstelle u.a. in der Welt.) Ich konnte mir nichts darunter vorstellen, sondern fand den Begriff unscharf, und dass er falsch klingt. So falsch, dass ich ihn nicht ruhigen Gewissens verwendet hätte, wenn ich einen Beitrag darüber hätte schreiben sollen. Auch im  Zusammenhang mit Tatbeständen im deutschen Recht (wie Mord, Raub, Betrug) kamen mir Hassverbrechen fremd vor, so offenkundig unbestimmt und vage. Also rasch gegoogelt, Treffer bei der FRA (Fundamental Rights Agency, s. Bildschirmfoto):

Hassverbrechen sind

Gewalt und Straftaten, die durch Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, religiöse Intoleranz oder durch Vorurteile gegenüber der Behinderung, der sexuellen Ausrichtung oder Geschlechtsidentität einer Person motiviert sind.

Aha, wir reden also über einen Sammelbegriff für verschiedene Delikte, der auf die Motivation abzielt, nicht aber die Tat selbst. Die FRA, Schöpferin dieser Definition, ist die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte mit 90 Mitarbeitern aus Juristen, Sozial- und Politikwissenschaftlern, Statistikern sowie Experten für Kommunikation und den Aufbau von Netzwerken. Zur Aufgabe der FRA heißt es auf der Webseite:

Die FRA wurde von der EU im Jahr 2007 gegründet und hat die besondere Aufgabe, unabhängige faktengestützte Grundrechtsberatung zu geben. . . . Die FRA ist eine der EU-Fachagenturen, die eingerichtet wurden, um die Organe und Mitgliedstaaten der EU fachkundig zu einer Reihe von Themen zu beraten.

Der Etat betrug 2012 20 Mio. Euro – u.a. für die Verfestigung und Verbreitung eines Wortes, das nicht einmal der Duden kennt, ebensowenig wie das deutsche Recht, wie ich als nächstes auf der Seite der Gewerkschaft der Kriminalpolizei nachlas. Dort heißt es:

Der Begriff Hasskriminalität vom amerikanischen Hate Crime hat sich in Deutschland nur bedingt etabliert.

Warum?

„Hass“ gilt vielen Juristen als ein sehr weit gefasster und zu schwammiger Begriff. Mit dem definitorischen Minimalkonsens, dass Hass ausufernde Gewalt gegen einen Menschen bedinge, kann auch ein persönliches Gewaltdelikt, wie eine Eifersuchtstat, als eine Hasstat verstanden werden.

Sehr richtig. Und dazu passen Ausschreitungen gegen Ausländer, Schwule oder andere Minderheiten nicht, denn:

Als Hasskriminalität werden . . . insbesondere solche Gewalttaten bezeichnet, die ohne persönliche Beziehung zum Opfer erfolgen und sich gegen das wahrgenommene Fremde richten. Entsprechend wird Hasskriminalität in der Kriminologie mit Vorurteilskriminalität ersetzt.

Ah, sie meinen Vorurteilskriminalität, und die fehlende persönliche Beziehung zwischen Täter und Opfer legt den Unterschied fest. Nur: Warum sagen sie es dann nicht? Warum machen sie aus hate crime dümmlich klingende und sachlich irreführende Hassverbrechen? Hier wurde wieder mal blind wörtlich übersetzt, ohne zu überlegen, was man eigentlich sagen will – und was man damit auslöst. Je stärker der Begriff, den ich wähle, desto stärker auch die Folgen, die ich damit auslöse. Hass ist eines der stärksten Gefühle, die der Mensch kennt. Als Texter kann ich hinzufügen, dass es damit zur Gruppe der bildnahen Substantive gehört (wie Ruhm, Furcht, Mut), die man stets daran erkennt, dass sie nur eine, höchstens zwei Silben haben, und deren Verwendung ich empfehle, weil sie viel Kraft haben. (Das Konzept ist nicht neu, aber profund; es stammt von Wilhelm Emanuel Süsskind.)

Verwischen macht das Herrschen leichter

Wie ich neulich im Fall der Geflüchteten bloggte, wird ein Begriff gewählt, der mehr verwischt als differenziert.  Politik müsse besser erklärt werden, heißt es. Ich frage mich, wie Politiker ihre Agenda vermitteln wollen, wenn sie nicht mal grundlegende Begriffsbestimmungen hinbekommen? Aber dann die anderen zu Postfaktikern erklären. Tss! Oder ist so ein emotionales Wort wie Hassverbrechen etwa willkommen, weil damit so leicht in gut und böse unterschieden werden kann? Ich bin ebenfalls erschüttert darüber, dass ein großes, teues Gremium bei der EU nicht in der Lage ist, sachlich aufzuklären. Wo ist die unabhängige, faktengestützte Beratung, die sie versprechen? Leere Worte.

Schließlich zeigt sich im Gebrauch des Begriffs Hassverbrechen, dass auch die Medien blind nachplappern statt selbst zu denken, einen Begriff auf Sinnhaftigkeit zu überprüfen und ggf. einen eigenen (klareren! richtigeren!) Begriff zu prägen. Ich bin sicher, die öffentliche Debatte verliefe wesentlich sachlicher und differenzierter, wenn z.B. Vorurteilsverbrechen statt Hassverbrechen verwendet würde.

(Nachtrag, 12.5.2017) Die ursprünglich verlinkte FRA-Seite, von der auch das Bildschirmfoto entstand, wurde gelöscht. Sucht man den Begriff per Suche auf der Seite, finden sich noch 19 Trefferseiten von Dokumenten, in denen das Wort verwendet wurde.

Hassverbrechen? Moment. Da war doch was mit Hass und Hetze.

One Response to Hassverbrechen sind Vorurteilsverbrechen
  1. […] die oben erwähnte Hasskriminalität ist ein umstrittener Begriff, weil man ihn in der Juristerei so gar nicht […]


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