Die sprachliche Simplifizierung in den Medien schreitet fort. Aufgenommen im Kanon des Erlaubten und Gängigen: Rassismus und Sexismus.

(27.9.2016) Dies ist ein gemischter Beitrag: Die Fortführung eines bestehenden bei Erweiterung seiner Aussage. Ende Juni schrieb ich darüber, dass sich im öffentlichen Sprachraum  die Begriffe Hass und Hetze ballen (Link s.u.); dies betrifft vor allem den Sprachgebrauch in Medien. Aktuelles Beispiel auf der Titelseite der Hamburger Morgenpost: „Der Hass auf die Dicken.“

Morgenpost-Hass-27.9.2016

Gefühle in Mono (Bildschirmfoto)

Zweifellos war hier für die Wortwahl der Grund, dass Schlagzeilen griffig sein sollen. Hass hat nur eine Silbe und ist eine starke Emotion, das spricht für die Formulierung. Doch besser hätte ich schreiben sollen, der sogenannte Hass auf die Dicken. Denn die Gefühle dieser Bevölkerungsgruppe gegenüber sind in der Realität vielfältiger. In der Sache wären zahllose Varianten denkbar: Spott, Hohn, beides zusammen (Hohn & Spott), Abneigung, Herablassung, Verachtung, Geringschätzung, Arroganz, Vorbehalte, Vorurteile, Ressentiments, Unversöhnlichkeit etc.pp. . Auch vom Spießrutenlauf der Dicken hätte man sprechen können, wenn man eine Metapher verwenden wollte. Aber nein – Redakteur und/oder Textchef entschieden sich beim Zeilenmachen für den Hass. Zugegeben, nicht alle Alternativen haben dieselbe Bedeutung, manche lesen sich sperrig. Und klar: Gerade im Boulevard-Journalismus gehören Vereinfachung und Zuspitzung zum Geschäft. Doch darauf soll es für den Moment nicht ankommen. Wichtig ist mir zu zeigen, wie sehr sich Medien auf bestimmte modische Begriffe konzentrieren, während sie gleichzeitig sachlich treffendere Varianten links liegen lassen. Wenn Sie mich fragen, wirkt die Schlagzeile „Hass auf Dicke“ übertrieben und unglaubwürdig; als hätte man mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Ich bin geneigt zu fragen: „Hass? Welcher Hass?“

Rassismus und Sexismus holen auf

In der gesellschaftlichen und politischen Debatte geht es vorwiegend um Rassismus und Sexismus. Hier möge aktuell der Vorwurf gegen den Berliner CDU-Politiker Frank Henkel als Beispiel dienen. (Eine Zusammenfassung der Affäre finden Sie auf Spiegel Online, den skandalauslösenden Originalbeitrag in der Edition f.) Dass es dabei mit der Bedeutung des Begriffs nicht allzu genau genommen wird, Schwamm drüber. Hauptsache, die Reizworte sitzen. Ich bedaure das, weil dadurch auch Phänoneme oder Aspekte unter die Reizworte fallen, die eigentlich nicht dazugehören. Gerade beim Rassismus fällt dieser Effekt auf. So entsteht rasch ein holzschnitthaftes Schwarz-weiß-Denken, ja oder nein, drin oder draußen. Kein Grautöne, keine Abstufungen, keine Unterscheidungen.

Themenballung und Wortschatzverarmung

Das hat zweifellos mehrere Ursachen. Naturgemäß ist es Aufgabe der Medien, sich  für das Neue zu interessieren. Wenn neue Phänomene in der Realität auftreten (ich hätte auch schreiben können: Wenn Dinge passieren), werden sie aufgegriffen. Dazu gehört seit Beginn der Flüchtlingswelle die Berichterstattung über Zuwanderer und Fremdenfeindlichkeit. In dem Zusammenhang taucht auch der Rassismus auf. Während es sich hier um Themen handelt, die aus der Nachrichtenlage stammen, gibt es daneben noch die Beiträge, die aus Moden und Zeitgeist stammen, also medial stärker selbstgewählt sind. Dazu müsste man wohl den Sexismus zählen. Daneben aber scheint mir der Wortschatzumfang in Medien mit einer geistigen und sprachlichen Verarmung einherzugehen, vor allem Online. Vielleicht können Online-Redakteure wegen des permanenten Zeitdrucks nicht mehr lang genug nachdenken und greifen zu den immergleichen Formulierungen, statt in den Tiefen ihres Gehirns nach treffenderen Wörtern und Differenzierung zu suchen.

Erste Bedenken, dass der Vorwurf des Rassismus überhand nimmt, hatte ich bei der Verleihung des Anglizismus des Jahres 2014. Hier noch der ursprüngliche Beitrag über Hass und Hetze. Und wenn Ihnen mal kein treffendes Wort einfällt, das Buch „Sag es treffender“ hilft immer. Ich kann es gar nicht oft genug empfehlen.

2 Responses to Lauter Rassismus und Sexismus
  1. […] wahrscheinlich ziemlich deftig gewesen. Ich habe mich gewundert, dass das allgegenwärtige „sexistisch“ nicht verwendet wurde. Zum Glück: Es wäre zu ungenau […]

  2. […] Ich frage Sie ganz direkt: Sie sind doch nicht etwa weiß und damit womöglich privilegiert? Machen sie sich klar, dass Sie das auf Kosten anderer sind. Daher war’s das mit dem Einheimischen, der nicht mehr so genannt werden darf, weil er wahrscheinlich poc (person of color) ist, ärmer als Sie und vermutlich insgesamt in unangenehmeren Umständen als Sie lebt. Vielleicht in politischen Wirren, unterjocht von einem Regime, ausgebeutet oder arbeitslos – Sie kennen die Bilder aus der Tagesschau. Schämen Sie sich Ihrer Privilegien, Sie Rassist! […]


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