Ein Satz, 140 Zeichen: Wie wirkt sich das auf Ausdrucksweise und Textverständnis aus?
(14.11.2015) O.k., die Headline ist reißerisch formuliert. Was ich meinte: Verändert Twitter die Art und Weise, mit der wir uns ausdrücken? Verändert es die Fähigkeit, längere Texte zu verstehen und/oder zu schreiben? Verengt es die Ausdrucksweise? Schmälert es das Vokabular? Führen die formale Voraussetzungen zu einer inhaltlichen Verflachung?
Risiken für längere Texte und komplexe Sachverhalte . . .
Auf diese Fragen kam ich, als ich neulich einen Blogbeitrag bei Hadmut Danisch las, der sich im Zusammenhang mit der Fähigkeit, in ganzen Sätzen und Texten reden und begründen können, damit beschäftigte. Er sieht die Kommunikation via Twitter kritisch, vor allem, wenn sie intensiv betrieben wird. Aus guten Gründen: Man ist auf 140 Zeichen beschränkt. Es gibt so gut wie keine Nebensätze, die Struktur ist simpel. Es wird mit Akronymen gearbeitet (OMG, wtf, etc.), die eine differenzierte Äußerung von Gefühlen und Gedanken verhindern.
Ich gebe zu, die Fragen oben im ersten Absatz klingen reichlich kulturpessimistisch. Das will ich eigentlich gar nicht. Nur scheint es mir tatsächlich so zu sein, denn ich korrespondierte kürzlich mit einer 21-jährigen Bachelor-Studentin (auf Facebook, nicht via Twitter), die über ihre Generation folgendes zu sagen hatte:
„Ich stimme dir zu, dass die sozialen Netzwerke sicher nicht zum Erhalt der guten Sprache beitragen. Deshalb empfinde ich es als sehr angenehm, mit dir in einer anderen Art und Weise kommunizieren zu können als mit Gleichaltrigen.“
Abgesehen davon, dass ich mich schlagartig unsagbar old school (um das Wort alt zu vermeiden) fühlte, hat mich die Aussage nachdenklich gestimmt.
. . . Chancen für Aphorismen und Pointen
Dennoch warf ich mich in die Bresche. Mein nicht umgewichtiges, aber leider wohl einziges Gegenargument: Die Reduktion auf 140 Zeichen kann brillante Aphorismen, Wortwitze und Pointen hervorbringen, weil wir gezwungen werden, Überflüssiges, Schnörkel und Schleifen wegzulassen und uns demgegenüber auf die Aussage zu konzentrieren. Im Idealfall kommt eine Pointe wie diese heraus, die ich kürzlich im Kommunikations-ABC fand:
„Bei der AfD heißt es wohl jetzt leider Petry heil.“ via @Powerdudler
Natürlich stellt sich die Frage, ob man die Aussage inhaltlich teilt oder nicht. Allerdings: Der Treffer sitzt, und es braucht Übung und Geschick, diese Reduktion zu erzielen, dazu Mutterwitz und manchmal vielleicht auch eine Portion Glück. Es scheint mir fast so schwierig wie gute Überschriften zu texten. Allerdings lässt sich nicht jeder Sachverhalt auf eine Pointe reduzieren, erst recht nicht, wenn es erzählerisch wird bzw. Details und Hintergrund braucht.
Halten wir fest: Es gibt Anhaltspunkte, die die These stützen, und es hängt wohl stark von der Intensität (bis hin zur Ausschließlichkeit) ab, ob eine Verengung oder Verflachung eintritt. Wer in Maßen twittert, kann wohl auch noch komplexere oder differenziertere Inhalte erfassen und schreiben. Vielleicht gibt auch das Logo des Unternehmens einen Hinweis: Vielleicht entspricht, metaphorisch gesprochen, der Unterschied zwischen Zwitschern und Reden dem unterschiedlichen Gehalt der Äußerungen.
Übrigens: Ich selbst twittere nicht, erstens aus Zeitgründen (wirklich; schon bloggen und Facebook kosten Zeit), zweitens, weil ich für die nötige Frequenz kein ausreichend großes Mitteilungsbedürfnis geschweige denn Sendungsbewusstsein habe, und drittens, weil es ein Leben jenseits von Computer und Smartphone gibt.
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