Fundstück zur Sprachentwicklung aus einer Zeit, als man noch arglos vom Negerkuss und Frau Bundeskanzler schrieb.

(17.10.2015) Eine kurze bibliothekarische Note: Ich las gerade ein Buch aus dem Jahr 1982. Das ist noch gar nicht so lange her, etwas über 30 Jahre, 33 um genau zu sein. Es heißt „Papa Faust“, geschrieben hat es Uwe Wolff, veröffentlicht bei Ullstein. In dem kurzen Roman geht es um das damals populäre Aussteigerleben, Konsumverweigerung, Ganzheitlichkeit. Es spielt also im sog. linken Milieu.

Und dann fand ich darin, auf S. 50, die Formulierung Frau Bundeskanzler. Diese Form wird heute nicht nicht mehr benutzt, obwohl sie korrekt gebildet ist. Hier zeigt sich noch, dass ursprünglich die Anrede das natürliche Geschlecht des Amtsinhabers bezeichnet, während das Amt nicht dekliniert wird, sondern in seinem grammatischen Geschlecht bleibt. So wie auch – bis heute – z.B. die Frau Doktor. (Frau Doktorin hat sich meines Wissens noch nicht eingebürgert.)

Die sprachliche Praxis sieht 2015 anders aus. Frau Bundeskanzlerin ist die offizielle Anrede, obwohl sie eigentlich redundant ist, weil sie zweimal das Geschlecht anzeigt, wo einmal völlig reichen würde, um den Sachverhalt zweifelsfrei zu beschreiben. Schöner und richtiger wäre also tatsächlich, was Uwe Wolff schrieb.

Auf S. 154 fand sich zweitens noch ein Negerkuss. Das Wort würde einen Shitstorm auslösen, würde das Buch 2015 veröffentlicht. Aber das würde es nicht, jedenfalls nicht mit dieser Vokabel. Da stünde dann Mohrenkopf, äh, nein, Schokokuss. Die These, dieser Ausdruck sei rassistisch und setze Schwarze herab, kann demnach erst danach entstanden sein. 1982 hat sich noch niemand Böses dabei gedacht, auch nicht im Lager derer, die den Verwender heute sozial ächten.

Einen anderen Ursprung haben die weibliche Sängerin und der männliche Flugbegleiter.

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