Hartnäckig nutzen Medien statt des treffenden Wortes Verneinungen mit Nicht-. 15 Beispiele und Lösungen.

(29.3.2015) Ich habe schon über dies Phänomen geschrieben, aber um es in der Sprache der Wirtschaft zu sagen: Der Trend ist intakt. Oder medizinisch gesagt: Die Seuche grassiert. Nämlich die bedenkliche Angewohnheit, statt treffender Begriffe Verneinungen mit Nicht- zu verwenden, um einen Sachverhalt darzustellen.

Dazu habe ich insgesamt 15 Beispiele zusammengetragen, die mir während der Medienlektüre zuletzt untergekommen sind, und schlage jeweils Verbesserungen vor, auf die man mit ein wenig Nachdenken, Sprachkenntnissen und -gefühl und/oder einem Exemplar von Sag es treffender in kürzester Zeit selbst hätte kommen können.

Beginnen wir mit einer Meldung von Spiegel Online zur Masernepidemie in Berlin. Nicht-geimpft lässt sich treffend als ungeimpft sagen. Ganz generell gilt oft: Non- ist un-. So wie Nonsense Unsinn ist. Und im Übrigen müsste man hier koppeln. (Mehr dazu hier.)

Nicht-igkeit, 2: Wie wär's mit interner Bericht?

Nicht-igkeit, 2: Wie wär’s mit interner Bericht?

Zweiter Fall von SpON: Der nicht-öffentliche Bericht – s. Screenshot. Das ist wahlweise ein interner Bericht (von dem auch klar ist, dass er nicht zur Veröffentlichung gedacht ist) oder vielleicht auch eine Verschlusssache.

Das gab’s 2014 auch so: Am 2. September wurde ruchbar, dass im Kurhaus zu Bad Reichenhall eine „Sex-Orgie“ (BILD) gefeiert wurde. Weiter hieß es, dass der Veranstaltungsort als Maskenball für eine nichtöffentliche Veranstaltung gebucht wurde. Das ist wahrscheinlich nicht auf den Schreiber, sondern die Bürokraten zurückzuführen, er hat es aber brav übernommen. Ich würde von einer privaten oder geschlossenen Veranstaltung sprechen.

3. nicht angepasst

Apropos: Schlimm die tapfer um Korrektheit bemühten Mitarbeiter in Polizei und Verwaltung, die von

nicht angepasster Geschwindigkeit
sprechen, aber überhöhte Geschwindigkeit meinen, was die Presse prompt übernahm (SZ). Besser noch sollten sie davon sprechen, dass der Fahrer zu schnell fuhr. Die Denkweise entspricht im Übrigen allen Großkonzernen, Versicherungen und öffentlichen Unternehmen, die glauben, sie könnten über höhere Preise mit dem Wort Preisanpassung hinwegtäuschen.
4. Nicht-legimiert
Auf dem Blog des an und für sich sehr präzise und gewandt formulierenden Publizisten Nicolaus Fest las ich kürzlich diesen Satz:
Die EZB ist eine demokratisch nicht-legitimierte Organisation
Hier böte sich an:

Die EZB ist keine demokratisch legitimierte Organisation

oder
Der EZB fehlt die demokratische Legitimation.
5. Nicht-behindert
Die Marketing-Publikation Horizont schrieb zuletzt in einer Meldung:
Seit einigen Tagen kursiert ein Film im Internet, in dem es um unerwartete Begegnungen zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen geht
Gut wäre eine Formulierung, die auch gleich den schwachen Relativsatz vermeidet:
Seit einigen Tagen kursiert ein Film im Internet über unerwartete Begegnungen zwischen  Menschen mit und ohne Behinderungen.
Auch hier wäre eine Koppelung angezeigt gewesen.
Motive Sprachökonomie und das englische Vorbild
„Ich bin sowas von nicht-hungrig“, sagte neulich meine halbwüchsige Tochter nach einer Mahlzeit, um zu betonen, wie satt sie sei. Das Beispiel zeigt den Mechanismus: Das Hirn denkt an den ursprünglichen sachlichen Punkt, den Hunger, formt ein Adjektiv und verneint dann, um zur eigentlichen Botschaft zu kommen. Es scheint, als sei dies sprachökonomisch günstiger, schneller und einfacher, als das Sprachzentrum zu veranlassen, nach dem treffenden Wort zu suchen. Das dürfte analog auch für die meist unter Zeitdruck stehenden professionellen Schreiber gelten.

Zweitens dürfte eine Rolle spielen, dass der englische Mechanismus hier abfärbt (non-), und die wenigsten sprachlich geübt oder souverän genug sind, eine Übertragungsleistung zu vollbringen, sondern brav wörtlich übersetzen.

Wie lange der Trend schon intakt ist, sieht man auch an den Beispielen, die ich im Laufe des letzten und vorletzten Jahres gesammelt habe:

6. Nicht-Amerikaner und andere Ausländer

So schrieb zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung im Mobilen Leben über die neuen Taxis in New York und deren Fahrer.

Die 82 Prozent Nicht-Amerikaner bekommen den Schein erst mit dem Nachweis der geforderten Sprach- und Ortskenntnisse.

Mein Vorschlag macht die immanente Aussage klarer, meine ich:

82 Prozent der Taxifahrer stammen aus dem Ausland, sie bekommen den Schein erst mit dem Nachweis der erforderlichen Sprach- und Ortskenntnisse.

 

7. Nichtangabe und 8. Nichtanwesenheit

Kurz davor berichtete die SZ im Sportteil über Dopingtestregularien. Dort hieß es, dass sich

Sportler durch Nichtangabe und Nichtanwesenheit aktiv Kontrollen entzogen haben.

Das steht da wirklich, und es ist so hässlich, dass ich kaum hinschauen kann. Ich finde das für eine Zeitung dieser Größenordnung, die ja auch was auf sich hält, sprachlich beschämend. Der substantivische Stil ist es schon unbeholfen, aber die Nichtanwesenheit als Ergebnis der Wortwahl ist grob. Wie wäre es, wenn sich

Sportler durch fehlende Angaben und Abwesenheit Kontrollen entzogen haben.

Frage in dem Zusammenhang: Wie entzieht man sich passiv? Auch so ein Füllwort aus dem Englischen, das man meistens weglassen kann.

9. Nicht-Berliner

Spiegel Online glänzte Ende August 2014 nach dem Wowereit-Rücktritt mit der Headline

Thierse will Nicht-Berliner als Wowereit-Nachfolger

Eine so sperrige Überschrift abzuliefern, hätte ich mich nicht getraut. Mein Vorschlag:

Thierse will keinen Berliner als Wowereit-Nachfolger

Denn das will der Schreiber eigentlich sagen.

10. Nicht-europäisch

Zudem las ich kürzlich irgendwo von nicht-europäischen Staaten. Auch das ist vermeidbar, indem man von außereuropäischen Staaten spricht. Wahrscheinlich spielt wieder das englisch-sprachige Muster eine Rolle (non-European).

Noch nicht genug? Ich habe noch ein paar Beispiele von 2013:

11. Nicht-Fußballbegeistert

Nicht-Fußballbegeisterten wollte die SZ im Mai 2013 in der Programmbeilage eine Alternative zum Champions League-Halbfinale Barcelona-Bayern bieten. Auch hier wäre eine Transferleistung nötig gewesen, Fußball-Muffel z.B. Oder: Wer Fußball verabscheut . . .

12. Nichtselbständige

Ein Versicherungsunternehmen bietet eine Rechtsschutzversicherung für Nichtselbstständige an. Wie wäre es mit Angestellten oder Arbeitnehmern? Sie stellen etwa 90 Prozent der Beschäftigten.

13. Nicht-Erteilen

Spiegel Online zitierte im Juni 2013 David Fischer, den Geschäftsführer der Offenbacher Kickers so:

Durch das Nichterteilen der Zulassung für die 3. Liga wurde unserem Sanierungsplan jedwede Grundlage entzogen.

Durch die Verweigerung/den Entzug der Zulassung/durch die fehlende Zulassung/ohne die Zulassung wäre doch auch gut gewesen, vor allem nicht ganz so steif.

14. Nicht notwendig

Und schließlich ließ der Lkw-Hersteller MAN in seiner Kundenzeitschrift inmotion, Ausgabe 2/13, drucken:

Auf nicht notwendige Ausstattungsdetails verzichtet man.

Stilistisch besser wäre:

Auf unnötige Ausstattungsdetails verzichtet man.

Und hier geht’s zum vorigen Eintrag zu dem Thema.

P.S. Und wo wir gerade dabei sind (15): Aus dem guten, alten

Bei Nichtgefallen Geld zurück

könnte man machen: Bei Missfallen Geld zurück. Oder wird missfallen schon nicht mehr verstanden?

One Response to Nicht muss nicht sein
  1. […] Bedeutung zu geben statt nach dem treffenden Wort zu suchen, ist intakt. Hier eine kleine Tabelle mit aktuellen Funden und Vorschlägen für elegantere […]


[top]

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.