Nach dem Wort des Jahres wird mit dem Anglizismus des Jahres die nächste Wahl entwertet, weil ein Begriff ohne Bedeutung siegte. Stattdessen war vermutlich political correctness das Motiv für Blackfacing.

(28.01.2015) „Welches Wort sagen Sie, wenn ein Weißer sich dunkel schminkt, um einen Schwarzen darzustellen?“ fragt der Teaser zum Artikel über den Anglizismus des Jahres auf SpOn. Die Antwort: „Keine Ahnung, wovon reden Sie?“ „Diese Lücke im Wortschatz der Deutschen hat der englische Begriff “Blackfacing” gefüllt, der diese höchst umstrittene Praxis anprangert“, heißt es auf SpOn weiter, der hier die Jury zitiert. Ich frage nochmal: „Welche Praxis?“, und habe dazu augenblicklich Kollegen (Journalisten! Abitur! Uni!) befragt: Blackfacing war ihnen nicht geläufig.

Notwendige Bedingung Relevanz

Ich habe es schon beim Wort des Jahres kritisch angemerkt: Wenn solche Wahlen praktisch bedeutsam sein wollen, müssen sie sich auf Begriffe konzentrieren, die in der wirklichen Welt in nennenswerter Zahl vorkommen, vulgo: Die man kennt. Wenn man sich auf exotische Randphänomene in obskuren Nischen konzentriert, katapultiert man sich aus der öffentlichen Wahrnehmung, wird nicht ernst genommen und gerät über kurz oder lang selbst in einen Randbereich. Das geschieht hier gerade. Es ist übrigens eine krasse Selbstüberschätzung zu glauben, man könnte durch seine Entscheidung Einfluss nehmen; man wird dagegen belächelt, weil man sich als Moralist aufspielt.

Denn erschwerend kommt hinzu, dass es hier mächtig nach vorauseilender political correctness riecht. Der Wunsch, den Zeigefinger zu heben und „Wehret den Anfängen“ zu rufen, ist – vielleicht auch Pegida-getrieben – deutlich zu spüren. Es gibt zweifellos Vorbehalte bestimmter Bevölkerungsteile gegenüber anderen (ich bezweifle dagegen, dass man das immer gleich Rassismus nennen muss), aber blackfacing ist mangels einer Geschichte Schwarzer in Deutschland zu vernachlässigen. Wer soll denn verspottet worden sein oder werden: Die verbliebenen US-Besatzungssoldaten? Die wenigen Afrikaner, die hier leben? In den USA sähe es wohl anders aus, aber hierzulande? Soweit ich es verstanden habe, galt eine Saalwette von „Wetten, dass“ als wichtiger Beleg. Nur dass sich da Augsburger (wie in der Puppenkiste) als Jim Knopf (wie der aus dem Kinderbuch!) herrichten sollten. Wer das beleidigend oder rassistisch findet, sieht Gespenster resp. macht aus einer Mücke einen Elefanten.

Die wahren Sieger: Selfie und Smartwatch

Die Entscheidung markiert einen Tiefpunkt in der Wahl zum Anglizismus des Jahres, den ich als Event ignorieren werde, wenn es so weiter geht. Leaken (2010), Shitstorm (2011) oder Crowdfunding (2012) waren berechtigt ausgezeichnete Anglizismen, weil sie relevant waren und Zeitgeschichte reflektierten. Das sieht man schon daran, dass man sie immer noch benutzt, sie sich also einen festen Platz in der Alltagssprache erobert haben. Aber schon – gate im letzten Jahr war schwach, weil eine Nachsilbe als Sammelbegriff abstrakt ist und nur selten in Erscheinung tritt.

Blackfacing als Sieger zu küren wird umso fragwürdiger, wenn man sich die Alternativen ansieht: In aller Munde und damit der überragende Begriff war Selfie. Zu gewöhnlich, naheliegend oder oberflächlich?  Ohne politisch korrekten Subtext? Dann nehme man doch Big Data, das die Gefahren und Risiken gigantischer Datensammlungen beschreibt, und schon hat man den gewünschten politischen Gehalt. Zuwenig Verbindung zu Diskrimierung und Menschen? Na dann, Sexting, der Austausch erotischer Bilder oder Nachrichten auf dem Smartphone, hat damit zu tun. Zu igitt? Auch Social Freezing, das Einfrieren von Eizellen zugunsten der Karriere, oder Smartwatch, die Smartphones am Handgelenk, hätten zur Wahl gestanden – und wären relevanter gewesen.

Hier das ganze Elend in der Presseerklärung und in der Begründung, Verzeihung, Laudatio des Veranstalters.

7 Responses to Blackfacing: Begriff ohne Bedeutung
  1. Ja, das kann man kritisieren. Dazu muss man wissen, dass das Lieblingsthema des Veranstalters Femininismus/Gender/Equality/Diskriminierung ist. Alle anderen Kandidaten hatten in dieser Hinsicht bestenfalls andeutungsweise etwas zu bieten.

    Blackfacing hingegen wird (zwar kaum im deutschen Sprachraum, aber mindestens in Amerika) als diskriminierend betrachtet. Von dem her ist die Wahl absolut logisch.

    • @Dave: Ich verfolge die Entwicklung des Sprachblogs auch schon etwas länger. An und für sich eine verdienstvolle Einrichtung, bedauere ich auch die Einseitigkeit der Ausrichtung.

  2. […] Zuletzt war ich mit der Wahl zum Anglizismus des Jahres nicht einverstanden. Warum, hier. […]

  3. […] Nachdem – gate es zum Anglizismus des Jahres geschafft hat, sehe ich hier einen weiteren Kandidaten für 2015. […]

  4. […] Bedenken, dass der Vorwurf des Rassismus überhand nimmt, hatte ich bei der Verleihung des Anglizismus des Jahres 2014. Hier noch der ursprüngliche Beitrag über Hass und Hetze. Und wenn Ihnen mal kein treffendes Wort […]

  5. […] Ausrichtung des Wettbewerbs liegen. Unvergessen z.B., als die Wahl 2014 auf das bedeutungslose Blackfacing […]


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