Im Lokalteil einer Zeitung stiftet der Storytelling-Ansatz mehr Unheil als Nutzen. Beispiele, Erklärungen und Ursachen.

Stortytelling-Headline „Hatschi“ – Leser verschnupft?

Stortytelling-Headline „Hatschi“ – Leser verschnupft?!

Dass ich dem Storytelling in Tageszeitungen kritisch gegenüberstehe, weil man in den Headlines nicht mehr informiert wird, wissen regelmäßige Leser dieses Blogs. In dieser Auffassung bestärkt mich ein besonders abschreckendes Beispiel aus einer SZ-Ausgabe von Donnerstag dieser Woche (s. Screenshot).

Hatschi!

stand da als Ein-Wort-Überschrift im Aufmacher des Wirtschaftsteils. Dem Teaser entnehmen wir dann erst nach der Lektüre von zwei Zeilen, um was es geht. Die Verbindung zur Head entsteht durch die pseudo-komische Metapher, wonach sich die Allianz an einem schlecht gemanagten Rentenfonds erkälten könnte. Ich möchte es salopp formulieren: Das ist Krampf. Wie wär’s mit einer Nachricht? Wer im Wirtschaftsgeschehen nicht drinsteckt, sondern sich einmal täglich fundiert informieren will, wird mit dem Storytelling-Ansatz in Verbindung mit vermeintlich unterhaltend-geistreichen, nachrichtenfreien Überschriften überfordert und geradezu veralbert. Mal ganz abgesehen davon, dass man nicht mehr querlesen kann.

Storytelling-Headline „Löblich bis lapidar“: Nicht löblich, aber lapidar.

Storytelling-Headline „Löblich bis lapidar“: Nicht löblich, aber lapidar.

Das gilt noch viel mehr für den Lokalteil, in dem die Süddeutsche ebenfalls den Storytelling-Ansatz praktiziert. Ich habe fünf beliebige (aber sinnfällige) Beispiele aus der Ausgabe vom vergangenen Freitag zusammengetragen.

  • Löblich bis lapidar

  • Eine gute Adresse

  • Der Richter und der Berg

  • Handliches Format

  • Der Hartnäckige

Sie haben bei keiner der Schlagzeilen eine Ahnung, wovon der folgende Artikel wohl handelt? So geht’s mir auch. Traurig, aber wahr: Das ist Absicht. Bewusst werden nachrichtliche Headlines vermieden, stattdessen sind sie banal und austauschbar. Das Konzept ist, das Interesse des Lesers an der Lektüre durch ein Schlagwort zu wecken. Im Beispiel „Löblich bis lapidar“, das zwar durch die Alliteration flott klingt, ist besonders beklagenswert, dass durch die Bewertung in der Headline die Form des Berichts mit dem Kommentar vermischt wird – doch auch das ist heute Teil des Konzepts; es nennt sich „Haltung“. Doch der Ansatz geht gerade im Lokalteil fehl. Ursprünglich führten die überregionalen Zeitungen ihn ein, um sich vom Netz abzugrenzen, in dem die Nachricht gleich nach dem Ereignis abgefeiert werden konnte – und nicht erst am Tag danach. Das neue Motto hieß: Wir bringen Hintergrund, ordnen ein, kommentieren. Soweit nachvollziehbar. Das mag auch für die großen, breiten Themen richtig sein, wohl auch für Sport.

Was bringt Storytelling im Lokalteil?

Anders im Lokalteil: Hier sind die News noch nicht über das Netz verbreitet. Tatsächlich halte ich die Zeitung nur, damit ich überhaupt lokale Information aus München bekomme. Wahrscheinlich praktiziert die SZ das Storytelling-Konzept hier, um eine einheitliche Erscheinung innerhalb des Blattes zu gewährleisten. Vielleicht auch,  um im Lokalteil modern zu wirken oder auf der Höhe der Zeit zu sein. Wahrscheinlich möchten die Lokalschreiber, die sich oft zweitklassig und minderwertig gegenüber den Stars des Hauptteils fühlen, zeigen was sie können. Leider sind sie dann doch nicht so gut, und den Überschriften fehlen der Witz und Esprit, die man im Hauptteil – bei aller Kritik – doch manchmal findet.

Solche internen Dynamiken mögen real sein und insofern ihre Bewandnis haben, doch das Produkt verbessern sie nicht, und im Sinne des Lesers sind sie auch nicht. Im Gegenteil. Dass sie die eigentlichen Ziele, die Auflagenstabilierung und die Leserzufriedenheit, fördern, muss bezweifelt werden.

Hier ein früherer Blog-Eintrag zu Ein-Wort-Überschriften mit weiterer Analyse.

One Response to Storytelling: Unheil im Lokalteil
  1. […] war ziemlich ernst und gründlich. Hier geht’s zu einem heiteren Blogbeitrag über Ein-Wort-Headlines im Lokalteil der […]


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