Das einzig Beständige ist der Wandel, gerade in den Medien. Doch dem stemmt sich der Mensch entgegen, auch in den Medien. Eine Geschichte von SEO und Ego.
(14.3.2014) Neulich hielt ich in einer großen Corporate Publishing Agentur SEO-Grundlagenkurse für die Redakteure. Das Portfolio ist aus Print- und Digitalprodukten gemischt, der Anteil der Zeitschriften sinkt kontinuierlich, der Umsatz mit eMagazinen, Newslettern und Websites steigt. Erst kürzlich wurde ein Printprodukt, das die Agentur seit mehr als zehn Jahren monatlich herausgegeben hatte, eingestellt; die Inhalte werden nur noch im Netz publiziert, die Redakteure müssen sich auf Online umstellen.
Der Verweigerer
Nach dem Kurs ergaben sich Gespräche mit Teilnehmern, wie sie üblich sind – und bezeichnend. Da war der ältere Kollege des Lifestyle-Blattes, ranghoch, gewohnt, den Ton anzugeben. Während des Vortrags verhielt er sich aufgeschlossen-neutral, nun aber, im Gespräch, brach sich die Skepsis Bahn. Es werde ihm schwerfallen, sich von seinem Stil zu verabschieden. Er zeigte Ärger und Ablehnung nicht offen, vielmehr strahlte er stillen Widerwillen aus. Der Punkt war offensichtlich: Er weigert sich noch immer zu verstehen, dass sich Zeiten, Moden und Gepflogenheiten ändern; dass sein Feucht-Biotop trockengelegt wurde und jetzt der Moment ist, sich anzupassen; klar wurde, dass er sein Ego für wichtiger hält als den Dienst am Leser. Denn letztlich geht es um zielgerichtete Kommunikation, darum, Sprache als Handwerk zu betrachten, und dies Handwerk nach bestimmten Erfordernissen (SEO) anzuwenden.
Die Verspielte
Und dann war da die Redakteurin mit Sinn für das Verspielte. Ihr mochte es nicht einleuchten, auf Anspielungen zu verzichten, für sie ein erprobtes Zeichen journalistischer Originalität, von Witz und Qualität. Sie liebt z.B. die SEO-untauglichen Storytelling-Headlines. Kein Zweifel, dass es im Print für dieses Konzept Argumente und Leser gibt – im Netz aber sind sie kontraproduktiv. Stolz berichtete sie, wie viel Mühe und Zeit sie schon darauf verwendet habe, Lauftexte mit sprachlichen Accessoires zu schmücken. Und nun SEO? Ein Keyword in die Head, und das Keyword im Intro wiederholen? Einschränkungen meiner kreativen Freiheit? Das war ihr zu banal, vielleicht sogar eine Zumutung. Was für ein fundamentales Missverständnis, welch vergebene Liebesmüh. Es mag sein, dass Leser diese Kunstfertigkeit zu schätzen wissen, allerdings nur, wenn sie mindestens fünf Euro für ihr Magazin ausgegeben haben; für ein in der Regel kostenloses Kundenmagazin wird man ein ganz anderes, flüchtigeres Nutzerverhalten unterstellen müssen. Im Netz, in dem gescannt und geskippt wird, gilt das umso mehr.
Die Folgen
Ich fürchte, dieses Selbstverständnis ist unter Deutschlands Journalisten verbreitet, weil sie es sich lange leisten konnten; und ich habe Anlass zu der Annahme, dass diese Einstellung dringend nötige Veränderungen in ihren Publikationen verzögert, und zwar so sehr, dass es für manche zu spät kommt. Ich finde diese Haltung insofern merkwürdig, als sich Journalisten oft als neugierig bezeichnen, nur dass die Neugier aufhört, wenn es an eigene Pfründe und liebgewonnene Gewohnheiten geht. Da sind die vermeintlich Progressiven plötzlich die Konservativen.
Ich finde es auch merkwürdig, dass sie sich elementarsten Einsichten widersetzen. Wessen eMagazine bei Google nicht gefunden wird, wird nicht gelesen. Man schreibt doch, um gelesen zu werden; dieser Aufmerksamkeits- und Einflussverlust muss selbst hartgesottene Hüter der Eitelkeit packen. Was ist mit den wirtschaftlichen Konsequenzen? Sie betreffen jeden Einzelnen existenziell: Kein Ranking, kein Traffic; kein Traffic, kein Etat; Etat weg, Job weg. Ich finde es vermessen, sich zu verweigern. Die gute Nachricht: Die Beharrer sind in der Minderheit.
Nicht, dass wir uns missverstehen, das Wort bleibt im Netz weiter wichtig. Warum, lesen Sie hier.
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Warum nicht “Corporate-Publishing-Agentur”?
Hallo Stefan, wenn Sie auf duden.de nach zusammengesetzten Corporate-Schreibweisen aus zwei englischen Substantiven suchen (z.B. Corporate Design), stellen Sie fest, dass die nicht gekoppelt werden. Der Grund liegt darin, dass zwei englische Begriffe nicht deutsch genug sind, also nicht den Regeln deutscher Rechtschreibung unterworfen werden, sondern noch als Original-Begriffe gelten. Zum Vergleich die Corporate-Schreibweise in diesem Kommentar: Ein englischer und ein deutscher Begriff zusammen werden nach deutschen Regeln geschrieben, also mit Bindestrich.