„Opfer-Abo“ ist das Unwort des Jahres 2012. Zum zweiten Mal setzt sich ein ungebräuchlicher Begriff durch, nach „Rettungsroutine“, dem Wort des Jahres. Relevanz, Autorität und Einfluss der Wahlen bleiben zurück.

Ein letztes Mal ist Jörg Kachelmann schuld. Er sprach in Interviews (u.a. Spiegel vom 8.10.2012) vom „Opfer-Abo“ der Frauen. Damit meinte er, dass Frauen bei Vergewaltigungsfällen stets in der Opferrolle sind, in Wahrheit aber Täter.

Kriterium öffentlicher Sprachgebrauch

Sowenig kann reichen: Das „Opfer-Abo“ wurde jetzt zum Unwort des Jahres gewählt. Ich würde gern etwas Positives sagen, aber es geht nicht. Das Unwort 2012 ist eine unglückliche, fragwürdige, kurz: die falsche Entscheidung, auch gemessen an den eigenen Kriterien.

Die sprachkritische Aktion „Unwort des Jahres“ möchte das Sprachbewusstsein und die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern. Sie lenkt den Blick auf sachlich unangemessene oder inhumane Formulierungen im öffentlichen Sprachgebrauch, um damit zu alltäglicher sprachkritischer Reflexion aufzufordern.

Das schreibt die Organisation auf ihrer Website. Gut und schön – aber welcher öffentliche Sprachgebrauch ist gemeint? Der Begriff wurde nur von einer Person benutzt – Kachelmann. Kein Mensch sonst spricht so. Natürlich ist Kachelmanns Gedankengang perfide, seine Wortwahl dreist. Aber das sollte noch lange kein Grund sein, sie zum Unwort des Jahres zu küren. Im Gegenteil: So macht man diesen Ausdruck erst bekannt, setzt ihm geradezu ein Denkmal. Schweigen wäre die bessere Alternative gewesen.

Breite Verwendung macht relevant

Peanuts, Humankapital, Kollateralschaden: Das waren in der Vergangenheit relevante Entscheidungen. Sie reflektierten gängigen menschenverachtenden Sprachgebrauch. Aber Opfer-Abo? Auf lange Sicht verliert die Wahl mit solchen Entscheidungen Autorität, Glaubwürdigkeit und Einfluss.

Auf den Plätzen folgten Pleite-Griechen und Lebensleistungsrente (Begründung der Jury). Angesichts großstädtischer Wohnungsnot bei gleichzeitiger Luxussanierung hätte ich die Gentrifizierung (oder das inhaltlich verwandte revitalisieren) für die bessere, weil repräsentativere Wahl gehalten. Unter den 2.241 Einsendungen wurden Schlecker-Frauen (163mal), Anschlussverwendung (125mal), Moderne Tierhaltung (102mal), Ehrensold (88mal) und Lebensleistungsrente (40mal) am häufigsten genannt.

Auch die Wahl zum Wort des Jahres 2012 war davon gekennzeichnet, dass ein ungebräuchliches Wort, die Rettungsroutine, ausgezeichnet wurde.

Vergessen, was das Unwort des Jahres 2011 war?

7 Responses to Fehlwahl: „Opfer-Abo“
  1. Und wieder einmal sind wir der gleichen Meinung! Wort und Unwort des Jahres 2012 verdienen diese Bezeichnung überhaupt nicht.

    Viele Grüße & schönes Wochenende
    Sandra Schwarz

  2. PR-Beiträge 03/2013: Facebook-Suche & Abmahnungen | kommunikationsABC.de 18. Januar 2013 at 13:29 Antworten

    […] Fehlwahl: „Opfer-Abo“ […]

  3. Das machen die noch drei Mal, dann haben sie ein Clowns-Abo.

    • 🙂 Das wäre schön, das wäre lustig, das wäre wünschenswert, scheint aber angesichts des Beharrungsvermögens deutscher Institutionen und des Respekts der Öffentlichkeit vor ihren Titelträgern unwahrscheinlich.

  4. […] finden Sie mehr über das Unwort des Jahres 2012, hier lesen Sie mehr über sprachliche […]

  5. […] 25.6.19) Unwort des Jahres 2012 wurde das längst vergessene Opfer-Abo. Ich musste selbst nochmal nachlesen, was es damit auf sich hatte. Nicht, dass nach sieben Jahren […]


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