Die Wahl zum Wort das Jahres 2012 überrascht: Die Rettungsroutine ist ungeläufig. Die besseren Kandidaten landeten erst auf den Plätzen. 

(15.12.2012) Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat gewählt: Rettungsroutine ist das Wort des Jahres 2012. Zur Begründung heißt es:

Dieses Wort spiegelt nicht nur das . . . dauerhaft aktuelle Thema der instabilen europäischen Wirtschaftslage wider, sondern beschreibt zudem die zahlreichen und wiederkehrenden Maßnahmen . . . zur Stabilisierung. Sprachlich interessant ist die widersprüchliche Bedeutung der beiden Wortbestandteile: Während eine Rettung . . . eine akute, . . . abgeschlossene Handlung darstellt, beinhaltet Routine . . . eine wiederkehrende, wenn nicht gar auf Dauer angelegte . . . Entwicklung.

Tja also, von der Rettungsroutine habe ich bisher nicht gehört. Sie? Macht anscheinend nichts: Nicht die Popularität, sondern die Signifikanz eines Begriffes gebe den Ausschlag für die Entscheidung, schiebt die GfdS in ihrer Pressemitteilung als Begründung schnell hinterher. Offensichtlich war man sich dieses Schwachpunktes von vornherein bewusst. So versucht man erstens das zu schaffen, was eigentlich gesucht werden wollte, nämlich ein typisches Wort, das das Jahr beherrschte. Und zweitens zeigt diese Verlegenheitswahl hauptsächlich eins: Dieses Jahr hat zwar ein Dauerereignis dominiert, aber sich kein Wort durchgesetzt. Bzw. Begriffe zur europäischen Stabilitätskrise wie Rettungsschirm reichen schön länger zurück. Da wäre es konsequenter gewesen, keinen Begriff zu küren, so wie es dieses Jahr beim Pulitzer-Preis gehandhabt wurde, als kein Roman herausragte.

Ungebräuchlich, aber alliterativ

Während die Vorjahressieger Stresstest und Wutbürger geläufige Begriffe waren, die die öffentliche Debatte prägten, kommt die Rettungsroutine also vielleicht noch. Auch die FAZ ist enttäuscht über die Wahl. Dort stellt man fest, dass der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach die Rettungsroutine im März aufbrachte – ohne größeren Widerhall, wie es scheint, bis gestern. Am angeblich sprachlich so interessanten Bau des Wortes – ein Oxymoron im Fachsprech – kann ich wenig finden; jeder Feuerwehreinsatz ist für sich singulär, die Feuerwehr als Ganzes hat aber Routinen eingeübt, um im Ernstfall gewappnet zu sein – nur dass man dort von einer Alarm- oder Ausrückeordnung spricht; das macht die Begriffsbildung sachlich notwendig und lässt sie längst nicht so außergewöhnlich erscheinen wie die Pressemitteilung glauben machen will. Bleibt allein, dass die beiden Bestandteile Rettung und Routine alliterieren, also denselben Anfangslaut haben, was den Begriff wenigstens griffig macht.

Auf den Plätzen:

  • Kanzlerpräsidentin (für Angela Merkel)
  • Bildungsabwendungsprämie (für das Betreuungsgeld; auch sehr überraschend! Herdprämie wäre besser gewesen, weil bildhafter und geläufiger)
  • Schlecker-Frauen (okay)
  • wulffen (hey, das wäre auch mein Kandidat gewesen)
  • Netzhetze (als deutsche Form des Shitstorms, letztes Jahr Anglizismus des Jahres)
  • Gottesteilchen (für die Entdeckung des Higgs-Teilchens im CERN)
  • Punk-Gebet (für die verhaftete russische Band „Pussy Riot“)
  • Fluch-Hafen (für die Mängel und Probleme am neuen Berliner Flughafen)
  • ziemlich beste… (nach dem Film Ziemlich beste Freunde, der ziemlich beste vorübergehend zum geflügelten Wort machte)

Zu den Gewinnereinträgen 2011, Stresstest, und 2010, Wutbürger.

4 Responses to Wort oder Witz des Jahres: Die Rettungsroutine
  1. […] Springe zum Inhalt HomeÜber diesen BlogÜber Kai BargmannVeranstaltungenImpressum ← Wort oder Witz des Jahres: Die Rettungsroutine […]

  2. […] die Wahl zum Wort des Jahres 2012 war davon gekennzeichnet, dass ein ungebräuchliches Wort, die Rettungsroutine, ausgezeichnet […]

  3. […] Gröfaz im Kopf. Ich glaube, man muss das positiv deuten. Während das letzte Wort des Jahres, die Rettungsroutine, eher ein Witz des Jahres war, weil es niemand kannte, geschweige denn benutzte, hat Groko wegen […]

  4. […] letzten Jahre, die denn auch unmittelbar im Orkus verschwanden: Lichtgrenze (2014) anyone? Oder Rettungsroutine (2012)? Vergessen. Dagegen waren der Wutbürger (2010) oder der Stresstest (2011) […]


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