Häufig findet sich im Feuilleton das Adjektiv ikonisch. Zuletzt auch in Werbung und PR. Jedesmal frage ich mich, was es mir sagen will. Beispiele und der Versuch, verständlicher zu formulieren.

Ikonisches Holzdesign ist im Trend

Legendär: Wenn das Holzdesign „ikonisch“ ist (© Denon)

(4.1.2012, Aktualisierungen 6.1.2018, 20.5.2018, 9.7.2018, 12.2.2019, 3.6.2020, 28.8.20)

tl;dr: Ikonisch sagt man heute statt legendär.

Heute vor einem Jahr, am 4.1.2011, starb der englische Gitarrist und Sänger Gerry Rafferty („Baker Street“). Ich möchte seinen Todestag zum Anlass nehmen, eine Frage zu erörtern, die mich seitdem beschäftigt: Was bedeutet ikonisch? Spiegel Online nämlich schrieb über Raffertys größten Hit:

Die ikonische Saxophon-Phrase in „Baker Street“ sollte zum Auslöser für den Saxophon-Boom der späten siebziger und der achtziger Jahre werden.

Ich verstehe den Satz grundsätzlich, aber nicht genau. Was will uns ikonisch sagen? Der Duden bietet als Bedeutung bildhaft, anschaulich und als Synonyme drastisch, anschaulich, sprechend. Wurde wörtlich aus einer englischen Quelle übersetzt, ohne auf Bedeutung und Gehalt der Aussage zu achten? Mein englischer Freund, ein Übersetzer, antwortet irritiert, iconic heiße ikonisch. Aber ikonisch sagt man auf deutsch nicht und die Bedeutungsalternativen des Dudens ergeben eingesetzt keinen rechten Sinn. Oder wissen Sie, was eine sprechende oder anschauliche Saxophonphrase sein soll?

Wenn Ikonen Legenden sind . . .

Zurück zum Ursprung – das Hauptwort Ikone ist ein Symbol, eine Legende, Kultfigur oder allgemein gesagt eine

Person oder Sache als Verkörperung bestimmter Werte, Vorstellungen, eines bestimmten Lebensgefühls

wie der Duden so richtig wie sperrig definiert.  Ich vermute, gemeint ist so etwas „wie ein Vorbild“, nur dass vorbildhaft hässlich ist und vorbildlich etwas anderes bedeutet. Ein abgeleitetes symbolhaft klingt auch komisch bzw. bringt keinen Erkenntnisgewinn – ein Symbol wofür? Eine schnelle Lösung böte legendär – aber warum hat der wackere Redakteur das nicht geschrieben?

. . . können Saxophonphrasen legendär sein . . .

Aber ist die Phrase nicht vielmehr eine Ikone für den Boom der Siebziger und Achtziger? Dann wäre das Adjektiv vor der Phrase zwar überflüssig, doch dieser neue Bezug eröffnet eine weitere Lösung, nämlich ikonisch adverbial statt adjektivisch einzusetzen:

Die Saxophon-Phrase in „Baker Street“ sollte zum Symbol (oder symbolisch oder Vorbild) für den Saxophon-Boom der späten siebziger und der achtziger Jahre werden. 

. . . vorausgesetzt, man klebt nicht wörtlich an der Quelle

Das war kein Einzelfall. Wenn Künstler oder Werke aus dem angelsächsischen Raum gewürdigt werden sollen, taucht ikonisch gern mal auf. Ein zweites rätselhaftes Beispiel, wieder von Spiegel Online, diesmal über den Hollywood-Regisseur Paul Haggis:

Zuvor legte der Kanadier eine lange TV-Karriere hin, mit ikonischen Serien wie “Love Boat”, “L.A. Law” und “Walker, Texas Ranger”.

Ikonische Serien – was will . . . ? Ein icon ist laut Cassell’s Wörterbuch übrigens eine figure, ein image of saint oder auch anybody uncritically admired. Das bezieht sich richtig auf Haggis, nicht aber auf eine Serie. Mit legendär wäre man ein weiteres Mal hingekommen.

Prägnant statt ikonisch

(Aktualisierung, 6.1.2018) Sechs Jahre später: Auf langen Autofahrten bin ich Raffertys Lied seit dem Ersteintrag wiederholt begegnet. Wissen Sie, was mir auffiel? Ich horchte jedesmal auf, wenn das Saxofon kam. M.a.W. das Motiv hat etwas Prägnantes, in seiner Art war es prägend für die Zeit und vielleicht auch stilprägend. Ich habe beschlossen, diese drei Adjektive jeweils als eine gute Alternative anzubieten, damit Sie ikonisch vermeiden können, das in der Bedeutung unklar ist, Bildungsbürgertum und zu wenig Distanz zum Englischen verrät . Viel Erfolg!

Ikonischer Kopfhörer

ikonisches Holzdesign beim Kopfhörer

Wie sieht ikonisches Holzdesign aus? Vielleicht einzigartig? (© Denon)

(Aktualisierung, 17.5.2018) Das Adjektiv ikonisch verlässt seinen geschützten Feuilleton-Raum und erobert neue Gebiete. Neulich erreichte mich eine Pressemitteilung des Hifi-Herstellers Denon, in der ein neuer Kopfhörer vorgestellt wurde. Und siehe, das gute Stück wurde als ikonisch angepriesen.

Ikonisches Holzdesign

heißt es konkret in der Zwischenüberschrift. Ich persönlich versuche als Texter Adjektive zu verwenden, die Bilder vor meinen Augen erzeugen. Das gelingt bei ikonischem Holzdesign nicht. Was darf ich mir darunter vorstellen? Wenn ich mir demgegenüber das Bild des entspannt Musik hörenden Herren oben vergegenwärtige und mich dort besonders auf das fein gemaserte, warme Holz konzentriere, fallen mir diese Adjektive ein:

  • unverwechselbar
  • einzigartig
  • prägnant

Was sich über die Melodie Garry Raffertys auch sagen ließe – und insofern schlüssig ist.

(Aktualisierung, 9.7.2018) Eine Kollegin, die in einem Artikel mit den ikonischen blauen Türen eines der besten New Yorker Restaurants zu kämpfen hatte, schlägt einprägsam als weiteres Synonym vor. Damit kann ich mich anfreunden.

Ikonische Stühle

ikonisch lässt sich durch legendär ersetzen

Bauhaus-Stühle: Ikonisch –  oder legendär? (© Thonet)

(Aktualisierung, 12.2.2019) Weil die Beispiele nur so weiter sprudeln und trudeln, noch ein weiterer Fall. Für einen Beitrag recherchierte ich kürzlich anlässlich des 100-jährigen Bauhaus-Jubiläums und wurde bei der Firma Thonet fündig. Sie baut bekanntlich die Stühle nach. Fast unvermeidlich, so scheint es, dass die Designs als ikonisch gepriesen werden. (Fundstellen hier und hier.) Machen wir auch hier die Probe: Stilprägend, unverwechselbar, legendär oder einzigartig hätten es ein weiteres Mal getan und wären verständlicher gewesen.

Ikonische Momente der Filmgeschichte

(Aktualisierung, 3.6.2020) Gestern lief nach dem Spielfilm auf Kabel eins noch die Clint-Eastwood-Story. Darin würdigt u.a. Tom Hanks den Regisseur in seinen frühen Rollen in Sergio-Leone-Western:

Those are iconic rafts of moments of . . . .

Daraus wird im Deutschen:

Das sind ikonische Momente der Filmgeschichte

(15:40, leider ist die Verlinkung auf das Video schon wieder ungültig.) Mal ganz abgesehen davon, dass legendär hier die perfekte Lösung gewesen wäre, um verständlich zu formulieren, wird an diesem Beispiel auch klar: Wir haben mit ikonisch einen weiteren Fall, in dem ein Anglizismus (iconic) herüberschwappt und wie so oft nur hilflos lautmalerisch/wörtlich übersetzt wird, ohne nach dem Sinn zu fragen. vgl. hate speech/Hassrede oder die comfort zone/Komfortzone.

Der ikonische Alfa Spider

(Aktualisierung, 28.8.20) Kürzlich huschte eine Alfa-Romeo-Anzeige mit dem Adjektiv ikonisch durch meine Facebook-Timeline. Ich finde sie gerade nicht wieder, doch auf der Alfa-Webseite findet sich ein Beitrag mit der Überschrift:

DER IKONISCHE ALFA ROMEO 1600 SPIDER
 „DUETTO“ EROBERT HOLLYWOOD

Da dieser Blog-Eintrag nach wie vor einer der meistgeklickten ist, habe ich mich zu einer (unwiderruflich!) letzten Aktualisierung entschlossen. Denn inzwischen ist der Beitrag sehr lang geworden, während sich über die Jahre eine Bedeutung herauskristalliert hat. So habe ich heute für den schnellen Leser oben das tl;dr eingefügt. Auch hier nochmal:

Ikonisch ist das neue legendär.

Falls Sie sich vom Bildungsgeprotze im Feuilleton unterhalten fühlen, hätte ich hier noch ein paar Perlen für Sie. Dort erfahren Sie, was kompress, panegyrisch und großmögend bedeuten.

21 Responses to Was bitte ist ikonisch?
  1. Die Erklärung ist viel banaler. Was macht die Orthodoxie mit Ikonen? Sie macht sie zu Objekten ihrer Ehrfurchtpflege, kultiviert den Glauben an die Heiligen.

    Wer säkular kunstkritisch “iconic” schreibt, sinkt vor Begeisterung über den Künstler auf die Knie.

    • @ Hans Hütt:

      Der Gedankengang ist plausibel; dazu finde ich, dass ikonisch zu den eitlen Feuilletonadjektiven gehört, die man eigentlich nicht braucht.

  2. Eine oftmals passende Übersetzung für “iconic” ist “kultig” oder “mit Kultcharakter”.

  3. […] einem anderen Eintrag gehe ich der Frage nach, was das gern gebrauchte Adjektiv ikonisch eigentlich ist. Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Stil, Tipps abgelegt und mit 2013, […]

  4. wenn etwas ikonisch wird, geht es in den kollektiven bildervorrat ein. das berühmte foto von che, das bild von frank zappa auf der toilette, der eams-fernsehsessel, der fernsehturm, barschel in der badewanne. alle bilder, wo man, wenn man sie sieht, gleich denkt, ach ja dass. und bei musikalischen gebilden eben das gleiche. kultische verehrung kann in dem zusammenhang stattfinden, muss aber nicht unbedingt. für mich gibt es eher eine nähe zum mem.

    • Hallo Jens, einverstanden mit den Beispielen. Nur wie lässt man die in ein besser verständliches Adjektiv fließen? Da gefiel mir Japalenos Vorschlag weiter oben mit „kultig“, wenn er auch recht umgangssprachlich ist.

  5. […] Hier geht’s zum letzten Beitrag, indem ich der Frage nachgehe, was das gern verwendete Wort ikonisch eigentlich bedeutet. Kennen Sie schon? Dann lesen Sie hier, was ikonografisch dagegen sein […]

  6. […] Spoiler: «einfacher», «lakonischer», «kühner», «wilder», «ikonischer » wäre meine Selbstverortung als dottore di arte […]

  7. […] nannte und heute Ticket, oder wie in den Achtziger noch etwas legendär war, während es heute ikonisch ist, gibt es Trends, Moden und Zeitströmungen, die unsere Wortwahl bestimmmen. In dieser Hinsicht […]

  8. […] schweren Unruhen sprach, sind es nun massive; und so wie man etwas mal legendär nannte, ist es nun ikonisch. Dabei verschärft sich auch der Ton: Vieles Gesellschaftliche lässt sich nicht mehr sagen, ohne […]

  9. […] den meistgeklickten Beiträgen des Blogs gehört der über die Frage, was ikonisch eigentlich bedeutet. Und psst . . . auch hier steckt dahinter, dass es im Englischen das Adjektiv iconic gibt. Der […]

  10. […] einem sehr frühen, viel geklickten Beitrag von 2012, als das Wort ikonisch noch relativ jung im deutschen Sprachgebrauch war, rätselte ich […]

  11. Comment *falls noch nicht genannt:
    ich würde sagen iconic bedeutet im deutschen nicht nur kultig sondern auch vorbildlich.
    sehr interessante Beiträge!

    • Danke für den Kommentar und die Blumen. Sorry für die späte Freischaltung – ich war ohne Computer unterwegs. – Also, je häufiger mir ikonisch inzwischen begegnet (und das ist ziemlich oft geworden), desto treffender scheint mir, dass ikonisch legendär als modisches Lob abgelöst hat. Ich probiere mal, vorbildlich einzusetzen.

  12. Comment *
    Meiner Ansicht nach ein Resultat der automatischen Übersetzungen … Ich übersetze je nach Kontext mit “kultig” oder “klassisch”.

    • Danke für den Hinweis auf die automatischen Übersetzungen – das ergibt Sinn. Auch so kann eine Mode entstehen. Klassisch führt m.E. in die Irre, kultig scheint mir passender.

  13. Danke für Ihre Ausführungen! Ich könnte jedes Wort unterstreichen….
    Das mit den automatischen Übersetzungen mag der Beginn dieser seltsamen Mode gewesen sein, inzwischen wird es doch sehr gerne verwendet, ohne dass klar wird, was genau damit gemeint sein soll – einfach, weil man es wohl für chic hält.
    Ich kann durchaus damit leben, dass sich Sprache verändert, aber von “ikonisch” bin ich in 90% der Fälle nur genervt:)

    • Danke für Ihren Kommentar. Das Gefühl des Genervtseins teile ich – es ist, glaube ich, der Tatsache geschuldet, dass das Wort so allgegenwärtig geworden ist – als gäbe es kein anderes.

  14. Comment *danke, danke danke! Sehr schön, wunderbar recherchiert. Manch einer kann nicht verstehen, wie und warum ich mich über “ikonisch” aufrege. Aber so bin ich eben… Weitere “nervige” Worte: tatsächlich, eigentlich… und noch ein paar andere, die nicht schlimm sind, wenn sie am richtigen Ort eingesetzt werden, aber bitte nicht in jedem zweiten Satz.

    Ich hatte mal ein Mandat, für eine “junge” online Publikation zu schreiben. Da war der Auftrag: möglichst genau 3000 Zeichen, mehr halten die Leser nicht aus und klicken weg. Tiktok-Gesellschaft, dabei ist Sprache, so etwas schönes. Ich gehöre wohl zu einer aussterbenden Art.

    • Hallo Daniel, danke für Deine freundlichen Worte. 🙂 Was ikonisch angeht: Da habe ich längst aufgegeben, das hat sich etabliert. Mein neues Gespenst heißt immersiv. – 3.000 Zeichen entspricht 400 Wörtern, also etwa vier Absätzen in SEO-Rechnung. Da kann man schon eine kleine Geschichte erzählen. Sprache muss nicht zwingend lang und ausufernd sein, um ihre Wirkung zu entfalten. Dass das für die Generation Tiktok immer noch zu lang ist, schließe ich nicht aus. 😉


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