Das Verb sicherstellen wird unterschiedlich verstanden und verwendet. Im Zweifelsfall warten 18 Alternativen auf ihren Einsatz.

Sorge tragen statt sicherstellen

Birk Meinhardt trägt Sorge für gutes Deutsch (Umschlag © Hanser Verlag)

(6.5.2017) Auch in der Literatur findet sich manchmal mein Anliegen, über den Wortgebrauch angemessen nachzudenken.

Im folgenden zitiere ich ein Stück aus „Brüder und Schwestern“, einem Roman von Birk Meinhardt, den ich gerade gelesen habe. Darin handelt die Stelle von der Bedeutung und Verwendung des Verbs sicherstellen.

Zunächst geht es in einem Dialog um die Arbeitsbedingungen asiatischer Näherinnen. Der Verantwortliche des Bekleidungsherstellers sagt:

Wir stellen sicher, dass sie unter anständigen Bedingungen arbeiten.

Matti, die Hauptperson des Romans, Gesprächspartner und unabhängiger Denker, hält den Wortgebrauch für falsch:

Sicherstellen kann ein Polizist ein Beweismittel oder ein Spaziergänger ein Fundstück – aber Bedingungen oder Zustände oder Vorgänge, um die kümmert oder sorgt man sich, da stecken schöne Wörter dahinter, inhaltsreiche, Kummer und Sorge.

Sorge, richtig. Ergänzen wir als weiteren Ausdruck Sorge tragen.

Matti steigert  sich richtig rein:

Überall höre ich jetzt, wird sichergestellt, muss sichergestellt werden, ist sichergestellt worden, von jedem Politiker und jedem Kommentator. . . . Ein einziges Nachgeplapper eines falschen und völlig leblosen Wortes. Und niemand scheint zu merken, wie falsch und leblos es ist. Mir schon bewusst, wo es so geballt herkommt, . . . aus amerikanischen Statements, „to make sure“, . . . und weil’s nun wirklich zu dumm wäre, hier sichermachen zu sagen, hat man’s zu sicherstellen umgewandelt.

Doch es geht nicht um den Einfluss des Englischen. Matti beklagt die Gedankenlosigkeit, die Kultur des automatischen Nachplapperns.

Wovon ich rede ist, wie willfährig die Sprache durch Transformationen verhunzt wird, . . . wie geistlos irgendwelche Wörter irgendwelcher fremder Politiker übernommen werden, . . . mit welch blindem Gehorsam jede natürliche Sperre niedergerissen wird. Dass gar keine . . . familiäre oder kulturelle Sperre mehr zu wirken scheint. Wir alle . . . haben übermittelt bekommen, in bestimmten Zusammenhängen von dafür sorgen zu sprechen, oder von, es zuwege bringen, oder, wenn’s mal ganz gewählt klingen soll, von: danach trachten. Das sind unsere eigenen Wörter. Das sind die treffenden Wörter. Aber was wird heute wiedergekäut? Dieses grauenvolle sicherstellen. Eher würde ich mir die Zunge abschneiden, als dass ich es sagen würde. Eher würde ich mir die Hand abhacken, als dass ich es schreiben würde.

Soweit würde ich nicht gehen. Aber eine ganz schöne Tirade ist das (um den neudeutschen Rant zu vermeiden), dagegen sind meine Blogeinträge von geradezu tiefenentspannter Zurückhaltung.

Sicherstellen im Duden
Aber stimmt denn überhaupt, was Matti sagt? Werfen wir einen Blick in den Duden. Ernüchterung! Der erlaubt leider beides, sowohl in der Bedeutungsübersicht als auch auch in den Synonymen. Allerdings: Der Duden erlaubt vieles.

Unter 1. finden wir, was Matti proklamiert:

in behördlichem Auftrag beschlagnahmen, vor unrechtmäßigem Zugriff oder die Allgemeinheit gefährdender Nutzung sichern

Unter 2. dann die Bedeutung, die er für falsch hält:

dafür sorgen, dass etwas sicher vorhanden ist oder getan werden kann; gewährleisten, garantieren

Erfrischend ist der Blick auf die Synonyme für die 2. Bedeutung, denn hier findet sich eine derartige Vielzahl, dass der Begriff Wortschatz auf seinen eigentlichen Sinn zurückgeführt wird. Der Duden hält nämlich diese imposante Liste bereit:

  1. Brief und Siegel geben,
  2. bürgen,
  3. die Garantie übernehmen,
  4. die Hand darauf geben,
  5. einstehen,
  6. eintreten,
  7. garantieren,
  8. geradestehen,
  9. gewährleisten,
  10. haften,
  11. hoch und heilig versichern,
  12. sichern,
  13. sich verbürgen,
  14. versichern;
  15. (bildungssprachlich) protegieren;
  16. (umgangssprachlich) die/seine Hand ins Feuer legen,
  17. sich starkmachen,
  18. Stein und Bein schwören

18 Möglichkeiten: Das nenne ich Reichtum, daraus lässt sich schöpfen.

Was Matti betrifft: Vielleicht hätte er auch keine Freude daran, von etwas auszugehen.

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