Der Kommunikationsexperte Murtaza Akbar hat kürzlich untersucht, wieviele Anglizismen DAX-Unternehmen verwenden. Im Interview spricht er über die Konsequenzen dieser Entwicklung, warum die wenigsten Unternehmen authentisch kommunizieren und warum Hochdeutsch fast immer die beste Lösung ist. (Lesedauer ca. 5:30 Min.)

wofür Angliszmen im Deutschen

Sprachoptimist: Murtaza Akbar (@ Murtaza Akbar/Wortwahl)

(2.2.2017) Vielleicht haben Sie vorletzte Woche auch von dieser Untersuchung gehört oder gelesen? (Z.B. im Münchner Merkur oder in der tz.). Methodisch wurde dabei ausgezählt, wieviele Anglizismen sich auf der Startseite deutscher DAX-Unternehmen finden. „Lieber Englisch“, war der Beitrag überschrieben, und sodann die scharfe Frage aufgeworfen, ob die deutsche Sprache bei den DAX-Konzernen ausstirbt. Der Artikel war dann schon etwas differenzierter und enthielt so einiges, was die Existenz dieses Blogs begründet.

Dass die deutsche Sprache sich so schnell verändert wie noch nie, bedingt durch das Internet und die Präsenz des Englischen. Dass sich durch Soziale Medien ganz andere Formen der Verständigung etablieren, z.B. durch Emojis, Abkürzungen, aber auch Verzicht auf Deklination. Dass Grammatik immer weniger interessiert, obwohl in sozialen Netzen mehr geschrieben wird als je zuvor.

Das fand ich so spannend, dass ich beschloss, mit Murtaza Akbar von der Agentur Wortwahl, der die Untersuchung zusammen mit seinem Team durchgeführt hat, ein Interview zu führen. Die Ergebnisse hat er tabellarisch zusammengefasst und neun Thesen daraus abgeleitet. Gerade den Veränderungsprozess und seine Konsequenzen wollte ich gern genauer ergründen. Hier seine Antworten.

  1. Wie kamen Sie auf die Idee zu der Untersuchung?

Die Unternehmens- und Onlinekommunikation ist unsere Expertise. Entsprechend hoch ist unser Anspruch, Erfahrungen und Wissen nicht nur zu haben oder Prozesse zu kennen, sondern auch belegen zu können. Englisch ist für Dax-Konzerne inzwischen Standard. Mich hat interessiert, wie sich das im Detail in der Unternehmens- und Onlinekommunikation widerspiegelt. Deshalb haben wir exemplarisch die Start-Webseiten der 30 Dax-Konzerne daraufhin genau unter die Lupe genommen. Anglizismen in Maßen sind in Ordnung. Dass es aber teilweise so viele sind, hat selbst uns überrascht.

  1. Wie halten Sie selbst es mit Anglizismen? Verwenden Sie Entscheidungsregeln oder -kriterien, oder lassen Sie sich vom Bauchgefühl leiten?

Hier gilt es zu unterscheiden. Ein IT-Unternehmen wie Infineon nutzt erwartungsgemäß mehr Anglizismen und englische Begriffe als beispielsweise ein Energiekonzern wie E.ON. Sie müssen natürlich die Sprache Ihrer Zielgruppe sprechen. Wichtig ist dabei aber, die richtige Balance zwischen zielgruppengerechter Ansprache, eigener Unternehmens­kultur und der generell üblichen Sprache zu finden. Und hier kann in der Tat das Bauchgefühl sehr helfen. Es gibt viele hervorragende Kommunikatoren in Unternehmen, die leider oft zu wenig auf ihr Bauchgefühl hören (dürfen). Ich ermuntere dazu in meinen Vorträgen, nicht nur vor Experten, genau das zu tun.

  1. Unterscheidet sich Ihre gesprochene von Ihrer geschriebenen Sprache, was Anglizismen betrifft?

Ja, gesprochene und geschriebene Sprache unterscheiden sich durchaus. Das empfehlen wir übrigens auch Unternehmen. Bei mir ist das nicht anders. Ich verwende mündlich auch mehr Anglizismen als geschrieben, was aber auch mit meiner Vita zu tun haben kann. (Anm. d. Red.: Hr. Akbar stammt aus Pakistan).

  1. Ich stimme Ihrer Aussage zu einer starken Veränderung des Deutschen zu. Wenn diese Aussage stimmt, warum sollte und wie kann man sinnvoll eine Rechtschreibung pflegen, gerade als Unternehmen? Nach Kanälen trennen? Als Kriterium bliebe dann nur die Authentizität der Aussagen, formal wäre alles egal?

Unternehmen sollten natürlich grundsätzlich Rechtschreib- und Grammatikregeln beachten. Ganz unabhängig davon, welche Tonalität, Wortwahl oder auch welchen Kanal sie nutzen. Ob locker, hochseriös, amüsant, Webseite, Twitter oder Snapchat – es sollte alles und überall richtig geschrieben werden. Nur wenn sie mit der Sprache spielen, sollten Unternehmen davon abweichen, aber das geht nur punktuell, sonst wird es anstrengend und unnatürlich. Authentizität ist in der Kommunikationsbranche übrigens ein überstrapaziertes Wort. Jedes Unternehmen will authentisch kommunizieren, die wenigsten tun es aber wirklich.

  1. Zu Ihrer ersten These: „Das Allgemeinwissen der Menschen in Deutschland wird kleiner, Nischenwissen dagegen größer – Folge: Der gemeinsame Wortschatz wird kleiner, die Verständigung schwieriger und gleichzeitig die Vielfalt der Sprache größer.“ Denkbar wäre doch auch ein kleinster gemeinsamer Nenner.

Ich bin grundsätzlich ein „Sprachoptimist“, deshalb finde ich die zunehmende Vielfalt der Sprache positiv, die mit der wachsenden Vielfalt der Kommunikationskanäle einhergeht. Der „kleinste gemeinsame Nenner“ ist mir zu negativ, aber wir müssen aufpassen, dass es nicht genau dazu kommt. Dass wir uns heute und in Zukunft über Generationen und Gruppierungen jeglicher Art hinweg verstehen und unterhalten können, ist das Wichtigste überhaupt.

  1. Ihre dritte These lautet: Anglizismen und Fremdwörter werden künftig immer häufiger „eingedeutscht“ – Folge: Die deutsche Sprache wird vielfältiger, internationaler, ohne an Eigenheiten zu verlieren.“ Warum verliert sie ihre Eigenheiten nicht? Werden nicht durch eingedeutschte Anglizismen deutsche Wörter verdrängt? Eine Bereicherung kann doch nur bei Wörtern eintreten, die sich gar nicht oder nur schlecht auf Deutsch sagen lassen (z.B. Verben wie googeln oder instagrammen).

Vielfalt halte ich generell für eine Bereicherung, auch in der Sprache. Dass Deutsch, ob von Anglizismen oder anderen Entwicklungen, verdrängt wird, die Gefahr sehe ich nicht im Ansatz. Gut 100 Millionen Menschen haben Deutsch als Muttersprache mit einem wunderbaren Wortschatz, der von den meisten gar nicht annähernd genutzt wird. Wer tut das schon? Zudem erlebe ich es häufig, dass die jungen Generationen unterschätzt werden. Viele von ihnen können sehr gut unterscheiden, was ein Anglizismus, ein Fremdwort oder ein deutsches Wort ist.

  1. In These 8 heißt es: „Unternehmen müssen sich verstärkt auf eine Vielfalt an Sprache, Kommunikation, Kanälen und Zielgruppen einstellen – Folge: Die Unsicherheit in der Kundenansprache wird steigen.“ Das hieße, die Ansprache zu differenzieren. Nehmen wir an, Sie wollten als Unternehmen – z.B. aus Kapazitätsgründen – nicht differenzieren. Wäre dann Hochdeutsch eine neutrale Kompromisslösung?

Hochdeutsch ist keine Kompromisslösung, sondern fast immer die beste Lösung und empfehlenswert. Und nicht nur bei Kapazitätsengpässen empfehle ich „weniger ist mehr“. Relevante Kommunikation wird immer wichtiger werden für Unternehmen, nicht die Masse. Ich meine mit der kanal- und zielgruppengerechten Ansprache auch nicht Dialekte, Slangs oder Kiezdeutsch, sondern Fragen wie das Duzen oder Siezen, die Tonalität und die Wortwahl. Es geht hier um feinere Unterscheidungen. Unabhängig davon sollte jede Ansprache „echt“ sein, nicht anbiedernd oder aufgesetzt, sondern natürlich und ehrlich, dann kommt sie auch an. Viele Unternehmen vergeben hier große Chancen.

  1. Wie stark sehen Sie den Einfluss englischer Grammatikregeln auf die Entwicklung des Deutschen, z.B. in der Pluralbildung Citys vs. Cities? Wie vermittelt man die Tatsache, dass englische und deutsche Sprache unterschiedlichen Regeln unterliegen? (Bsp. Substantive einfach hintereinander zu reihen wie in Standard Erklärungsansatz)? Was raten Sie Unternehmen diesbezüglich?

Das habe ich noch nicht als besonders massive Entwicklung registriert. Zu vermitteln, dass die deutschen und englischen Grammatikregeln unterschiedlich sind, sehe ich als Kür an. Ich glaube, dass es vielen Menschen immer schwerer fällt, die richtigen Kommata und die richtige Groß- und Kleinschreibung anzuwenden. Auch das wird zu Veränderungen führen.

  1. Sie sagen auch: „Online- und Social-Media-Kommunikation beeinflussen die deutsche Sprache enorm.“ Welche Konsequenzen auf den sprachlichen Ausdruck hat die Verwendung von Emojis in Sozialen Medien? Welche der Verzicht auf Deklination? Was halten Sie von der These schrumpfenden Ausdrucksvermögens und der Infantilisierung des Ausdrucks durch soziale Medien? Woher stammt ihre Zuversicht, dass „es einen wunderbar vielfältigen Wortschatz gibt, der von allen Generationen bereichert wird“?

Welche Auswirkungen die vielfältige Kommunikation mit Abkürzungen und Emojis in den Sozialen Medien auf die jungen Generationen haben wird, können wir heute noch nicht sagen. Darauf bin ich selbst gespannt, betone aber nochmals, dass wir die jungen Menschen nicht unterschätzen sollten. Es ist Aufgabe aller Generationen, aufeinander zuzugehen und miteinander zu sprechen. Eine Zahl, die mich zuversichtlich stimmt, ist, dass mehr als 50 Prozent der 60- bis 69-Jährigen hierzulande WhatsApp nutzen – und sicher auch generationsübergreifend kommunizieren.

  1. Wie stehen Sie zu gendergerechter Sprache? Wie beurteilen Sie deren Einfluss auf Sprachästhetik und -effizienz? Welchen Einfluss wird sie im Rahmen der Compliance in den kommenden Jahren auf die Unternehmenskommunikation haben?

„Gendergerechte Sprache“ ist ein Aspekt, der vor allem Unternehmen, Institutionen und Organisationen betrifft. Es ist die Aufgabe von uns Kommunikationsprofis, hier sprachliche Lösungen zu finden, die den Compliance-Ansprüchen gerecht werden und gleichzeitig ansprechend und gut anwendbar sind. Da sehe ich keine Schwierigkeiten, das ist unsere tägliche Arbeit. Behörden und Ämter tun sich nach meiner Erfahrung hier sehr viel schwerer. Aber auch sie müssen moderner werden, nicht nur, was die Kommunikationskanäle, sondern auch was die Ansprache betrifft. Alles in allem: Kommunikation ist was Wunderbares – ob für Unternehmen oder zwischen zwei Menschen. Es gibt kaum etwas Schöneres als ein richtig gutes Gespräch!

Redaktioneller Hinweis: Die Fragen und Antworten wurden per E-Mail ausgetauscht. Ich danke Hr. Akbar für seine Zeit und Mühe.

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