Mal liest man in Medien von einem Interview, mal von einem Gespräch. Was steckt hinter den Begriffen? Sind sie austauschbar oder bedeuten sie etwas Unterschiedliches?

Exklusiv und persönlich: Das Spiegel-Gespräch (Bildschirmfoto)

Exklusiver Inhalt nach persönlicher Begegnung: Das Spiegel-Gespräch (Bildschirmfoto)

(14.8.2016) Neulich führte ich für einen Kunden ein  Interview mit einem Sportler. Daraus sollte ein Beitrag von einer Seite Umfang entstehen, keine große Sache also. Hinterher sprach der Kunde dem Sportler gegenüber von einem Gespräch. Ich fand den Begriffswechsel interessant – klang es nicht eindrucksvoller, feierlicher, erhabener, das Interview Gespräch zu nennen? Trotzdem fühlte ich mich unwohl. Ist es keine Begriffsvermischung, in dem man Gespräch schreibt, es sich eigentlich aber um ein Interview handelt?  Schließlich ist das Interview doch eine spezielle journalistische Form aus Frage und Antwort. Zeit, mir ein paar Dinge zu vergegenwärtigen und den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Begriffe nachzuspüren. Um die Eigenschaften des Gespräch zu beschreiben, machen die Unterschiede zum Interview den Anfang:

Hochwertiger Inhalt

Erstmal klingt Gespräch besser als Interview, besser im Sinne von länger, ausführlicher, tiefer. Als hätte der Journalist lange mit seinem Interview- (oder Gesprächs-)partner geredet, und nicht bloß ein paar Fragen gestellt. In meinem Fall dauerte das Telefonat etwa 20 Minuten, der Begriff Gespräch wäre mir dafür zu hochgegriffen.

Gleichberechtigte Rollen

Eins der bekanntesten Beispiele ist wohl das Spiegel-Gespräch – s. Bildschirmfoto. An dem Beispiel wird klar: Das Gespräch wertet auf, und zwar den Journalisten: Der Interviewer stellt nur Fragen und lauscht den Antworten, es ist eine Art Einbahnstraße bzw. einseitige Kommunikation. Wenn dagegen zwei ein Gespräch führen, sind sie auf Augenhöhe, reden miteinander und hören sie sich gegenseitig zu. Das Gespräch klingt nach zweiseitiger Kommunikation, bzw. um in der Metapher zu bleiben, nach einer Straße mit zwei Fahrbahnen in unterschiedliche Richtungen.

Ist diese Haltung berechtigt, das Selbstbild realistisch? Eigentlich hat doch der Interviewpartner im Journalismus eine wichtigere Rolle als der Fragesteller. Der ist letztlich Stichwortgeber, wobei es sicher bessere und schlechtere Fragen gibt. Auch technisch: Manche fragen geschlossen, anderen offen (mit w-Worten, so wie es sein soll, damit man kein ja oder nein als Antwort erhält).  Wer die Hierarchie bezweifelt und den Journalisten als gleichberechtigt erlebt, möge sich die Frage stellen, ob es ohne den Interviewten wohl überhaupt das Interview gäbe. Der Interviewpartner ist Anlass und Antwortgeber; von seinen Antworten erhofft der Journalist neue Erkenntnisse, oder allgemein: Die Antworten stellen den Inhalt dar; journalistisch: Sind das Fleisch.

Persönliche Begegnung

Viele Interviews werden telefonisch oder per Mail geführt, ein Gespräch dagegen findet in aller Regel persönlich, mindestens aber telefonisch statt. Was der Spiegel als Gespräch verkauft, dürfte ein persönliches Treffen bezeichnen. Die Gründe sind vielfältig: Telefon und Mail gehen schneller, der Reiseaufwand entfällt, schriftlich hat sogar den Vorteil, dass man die mündliche Kommunikation nicht erst verschriftlichen muss. Allerdings hat es den Nachteil, dass das Mail-Interview oft steif und unnatürlich klingt. Der Ton ist anders, weil niemand gesprochen, sondern zwei nur geschrieben haben.

Interview und Gespräch: Definitionen

Klären wir den Sachverhalt, suchen wir nach Quellen. Wikipedia definiert das Interview so: Ein Interview ist eine Befragung mit dem Ziel, persönliche Informationen oder Sachverhalte zu ermitteln. Zum journalistischen Interview findet sich ein gesondertes Kapitel mit eigener Sprungmarke. Als Gespräch dagegen wird dort „allgemein die verbale Kommunikation (von Menschen) bezeichnet“. (Klammer von mir, denn mir wäre verbale Kommunikation zwischen Tieren oder Pflanzen nicht bekannt.)

Ähnlich äußert sich der Duden, der das Wort übrigens schon seit 1887 führt, zum Interview.

Von einem Berichterstatter von Presse, Rundfunk oder Fernsehen mit einer meist bekannten Persönlichkeit geführtes Gespräch, in dem diese sich zu gezielten, aktuellen [politischen] Themen oder die eigene Person betreffenden Fragen äußert.

Das Gespräch gilt zwar als Synonym, wird aber wie folgt definiert:

Mündlicher Gedankenaustausch in Rede und Gegenrede über ein bestimmtes Thema.

Schlussfolgerung: Es ist im journalistischen Kontext fast immer ein Interview gemeint, wenn Gespräch gesagt wird. Aus verschiedenen Gründen verzichtet man auf eine präzise Bezeichnung des Vorgangs und seines Ergebnisses. Das geschieht öfter, vgl. meine Einträge zum treffenden Wort, z.B. zur Verwendung von „Mensch“. Wäre ich ein Spötter, würde ich sagen, was tut man nicht alles, um sich angesichts schwindender Auflagen besser zu fühlen? Okay, das unfair. Sicher gibt es eine strategische Überlegung, zum Beispiel dass durch die Aufwertung zum Gespräch der Eindruck höhenwertigen, exklusiven Inhalts entsteht. Und was spricht dagegen zu versuchen, seine Erzeugnisse bestmöglich anzupreisen? Dazu passt auch, Interviews und Gespräche gern als Begegnung zu verkaufen.

Ergänzungen sind willkommen. Wer wie ich die Qualität von Kindersendungen wie Purplus kennengelernt hat, findet in Rossipotti, einem Literaturlexikon für Kinder, eine schöne Vertiefung zum journalistischen Interview.

Fragen sind übrigens nicht nur 50 Prozent eines Interviews, sondern auch ein starkes Stilmittel beim Texten.

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