Die Tagesschau verlor die Wahl des treffenden Wortes, als sie in ihrer jüngsten Ausgabe Tote oder Mordopfer zu Getöteten machte.

„Getötete“ statt „Mordopfer“ – schwache Wortwahl im Tagesschau-Aufmacher (Screenshot)

„Getötete“ statt „Mordopfer“ – schwache Wortwahl im Tagesschau-Aufmacher (Bildschirmfoto)

Gestern Abend in der Tagesschau machte Sprecher Jens Riewa mit der Meldung von der Bestattung der Pariser Abschlagsopfer auf. Auf der Tafel neben ihm stand:

Trauerfeier in Paris für die 130 Getöteten

Und ich dachte, wie schändlich es ist, begleitet von solchem Gestammel zur letzten Ruhe gebettet zu werden. Getötet ist das Partizip Perfekt Passiv von töten, es wurde also ein Verb zum Substantiv erhoben. Der gute Schreiber weiß, dass dieses Stilmittel nur im Notfall verwendet wird, z.B. dann, wenn es kein treffendes Substantiv gibt. Das ist hier nicht der Fall, denn man hätte sehr leicht von Toten schreiben können.

Warum unterblieb das? Vermutlich hat der Schreiber hier mit Bedacht gehandelt. Denn der Tote suggeriert friedliches Dahinscheiden im Kreise der Lieben. Hier aber haben fanatische Terroristen gemordet, gewütet, im Falle der Konzerthalle sogar abgeschlachtet. Führt man sich den Sachverhalt dergestalt vor Augen, fallen einem die Wörter wie Schuppen von den Augen: Getötete sind hier Mord– oder Terroropfer. Beide Varianten bringen den Akt der Barbarei klar und eindeutig zum Ausdruck. Gerade das aber wollte der Schreiber womöglich vermeiden, weil es ihm wiederum zu hart erschien. Und so kommt es dann zu einem schwachen Kompromiss wie Getöteten.

Flüchtling vs. Geflüchtete

Hier würde ich den Ansatz eines Trends sehen, denn ein analoges Beispiel sind die Flüchtlinge, die in Medien zuletzt auch als Geflüchtete bezeichnet wurden, etwa hier im Stern (im Breadcrumb). Dazu wird argumentiert, der Flüchtling sei wg. der verniedlichenden Endsilbe -ling Ausdruck von Geringschätzigkeit und Herablassung, der Geflüchtete neutraler. Dem halte ich entgegen, dass das ursprüngliche Substantiv bild- und wirkungsstärker ist, während das zum Substantiv erhobene Partizip abstrakt und damit bildschwächer ist. Die Bildstärke wiederum ist ein wichtiges Kriterium, weil sie etwas darüber aussagt, was ich beim Leser mit meinem Wort bewirke.

Einen ausführlichen Beitrag zur Frage Flüchtling vs. Geflüchtet habe im Bremer Sprachlog gefunden. Mehr zur Sprache der Tagesschau in einem Beitrag mit einem ähnlichen Thema, nämlich wenn bei Verneinungen statt des treffenden Wortes ein Nicht- vorangestellt wird.

3 Responses to Terroropfer zu Getöteten
  1. […] abstrakte Geflüchtete kann – wie im letzten Eintrag gezeigt – als Ergebnis einer Substantivierung nur eine Notlösung sein; wollte man wirklich […]

  2. […] Heute konnte ich die Tagesschau loben. Da kann man aber auch ganz andere Sachen erleben. […]

  3. […] ich über diese öffentlich-rechtliche Institution schon wiederholt etwas gebloggt, und durchaus Kritisches, aber dieses Mal hat sich die Redaktion selbst übertroffen. Denn statt den Simpel-Plural […]


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