Dichtmachen in einem Bildschirmfoto der Tagesschau

Nicht die feine Art: „Standorte dichtmachen“ (Bildschirmfoto)

Dichtmachen ist eine Haudrauf-Vokabel, die nicht zu seriösen Medien passt – aber dennoch dort verwendet wird.

(17.7.2012, Aktualisierung am 15.7.2020) Heute eine Stilfrage: Einer der ehernen Grundsätze des Textens lautet, dass die Wortwahl zum Medium passen muss. Dagegen wird allerdings in bestimmten Zusammenhängen verstoßen, etwa weil ein Redakteur meint, er müsse sich besonders emotional oder volksnah ausdrücken.

31 Standorte werden dichtgemacht,

meldete z.B. vor einiger Zeit die Tagesschau in ihrer Online-Ausgabe, als es um die Verkleinerung der Bundeswehr ging. Für mich ist das ein anbiedernd-volkstümelnder Ausdruck, der nicht zur Tagesschau, dem eigenen Anspruch nach Inbegriff seriösen Nachrichtenjournalismus, passt. Er hätte in der Boulevard- oder zur Not auch in der Lokalpresse einen Platz. Ich bin überzeugt, dass

31 Standorte werden geschlossen

angemessener gewesen wäre, weil z.B. die Sprecher in der Hauptausgabe das immer wieder so formulieren. (Dass dichtmachen im Bildschirmfoto  falschgeschrieben wurde, wollen wir übergehen.)

Dichtmachen in der SZ . . .

Kommt Betroffenheit besser zum Ausdruck, wenn man dick aufträgt? Für mein Empfinden nicht. Leider war auch die Süddeutsche Zeitung zuletzt der Meinung, sie müsse sich handfest ausdrücken. Dort hieß es am 28.6. zum Thema Schlecker, dass

die letzten Filialen am Mittwoch endgültig dicht gemacht haben.

Selbes Phänomen, selbe Analyse, selbe Alternative. Versteht sich, dass dies nur zwei von vielen Beispiele sind – dicht machen ist zu einem allgemein beliebten Synonym für schließen geworden, auch gern in Verbindung mit Ländergrenzen.

Für mich ist die einzig zulässige Verwendung ein Leck – auch das lässt sich schließen, aber durch die Gewalt des ausströmenden Wassers ist ein stärkerer Ausdruck gerechtfertigt. Natürlich können Sie es auch abdichten, wenn Ihnen das mehr behagt.

. . . und acht Jahre später bei Meedia

Acht Jahre später: Die Verbaldampframme Dichtmachen treibt weiter ihr Unwesen. (Bildschirmfoto)

(Aktualisierung, 15.7.2020) Da schreibt man sich Woche für Woche die Finger wund, verfertigt so über 500 Beiträge und was geschieht? Nichts. (Ich hoffe, die Ironie ist Ihnen nicht entgangen.) Acht Jahre später textet nämlich auch der Schreiber bei Meedia ungeniert vom Dichtmachen, diemal im Zusammenhang mit einer Verlagseinstellung.

Hanser Verlag macht Henrich Publikationen dicht

lautet die Schlagzeile. Schlimm. Mein Augenlid zuckt. Auch hier zeigt sich: Die Lust am gefundenen Fressen ersetzt die professionelle Perspektive nicht, zielgruppengerecht und angemessen zu texten.

Schlussfolgerung: Allen Bloggens zum Trotz sind manche Bemühungen vergeblich. Man kann nicht gegen die Strömung schwimmen, manche Trends sind stärker als das eigene Vermögen. So wie dieser hier, der sich festgesetzt hat. Immerhin: Sie wissen es jetzt besser.

Wie wenig es um das treffende Wort und mediengerechte Wortwahl geht, sondern um Gefühligkeit, zeigt ein anderes Beispiel.

4 Responses to Schluss mit dem Leck: Übers Dichtmachen
  1. dichtmachen = schließen (umgangssprachlich)
    dicht machen = etwas abdichten

  2. […] doch gerade in unseren Qualitätsmedien die Neigung besteht, dicht zu machen statt zu schließen, oder zu kippen wenn etwas rückgängig zu machen ist, könnte ich mir auch […]

  3. […] So wie oben schrieb ich also schon 2011, damals aber noch mehr in Notizform. Und so wie sich bei manch fehlgehendem Ton nichts getan hat, muss ich auch beim Tiefpunkt einen lang anhaltenden, Achtung: Abwärtstrend […]


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