(16.3.2012) Neudeutsches aus der Corporate-Welt: Projekte werden ausgerollt, Prozesse werden angestoßen. Ein kleiner Tipp mit der Fingerspitze, und schon purzeln die Dominosteine. Wie niedlich der Vorgang, wie harmlos das Ergebnis, es geht fast wie von selbst! Und es ist so sauber. Wenn Sie etwas angestoßen haben, gibt es auch kein Zurück mehr. Ich bin entzückt. Vergessen die zermürbenden Verhandlungen, die zähen Abstimmungen und die ermüdenden Kompromisse, die zu einem komplexen Prozess oft dazugehören. Bilder vereinfachen.

Sicher sind wir uns einig, dass es sich hier um ein Trendwort erster Güte handelt – und zwar aus der Welt der Berater und Kopfarbeiter. Manchmal ist es sogar ganz hübsch, denn einen Prozess anzustoßen klingt anschaulicher als ihn auszulösen, beginnen zu lassen, in Gang zu bringen oder gar zu initiieren. Der Vergleich mit den Alternativen zeigt: Das Gute daran ist prinzipiell, dass es ein bildstarkes Verb ist. Anders als Verwaltungsverben wie erfolgen oder stattfinden können wir uns darunter etwas vorstellen; es soll Abstraktes anschaulich machen, wenn die Kopfarbeiter es benutzen. Allerdings hängt das Bild schief: Wenn Sie etwas anstoßen, rempeln Sie auch – was eigentlich gerade vermieden werden soll. Beim Anstoßen gehört Harmonie zum Ritual.

In anderen Fällen stellt sich die Frage: Warum braucht man so ein Verb? Ein Beispiel aus einem Artikel auf Spiegel-Online, in dem eine Kollegin aus der CDU die Politik von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder kritisiert:

„Wir hatten und haben noch genügend Zeit, einen entsprechenden Gesetzentwurf anzustoßen“, mahnte die CDU-Politikerin.

Im Deutschen gibt es die verhängnisvolle Neigung, alles in Hauptworte zu packen – darunter Verben. Auch in diesem Beispiel macht uns die Substantivitis einen Strich durch die Rechnung, denn das ursprüngliche Verb entwerfen wurde zum Hauptwort gemacht. Hätte sie gesagt, wir hätten genügend Zeit, ein Gesetz zu entwerfen, gäbe es keinen Anlass mehr, irgendetwas anzustoßen.

Und jetzt lassen Sie uns nicht länger daran Anstoß nehmen. Wir wollen auf dieses derzeit allgegenwärtige Trendwort anstoßen: Prost!

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