(18.11.2011, Nachtrag, 12.02.2012) Sie sind ein Staat und können Ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen? Kein Problem, Sie bekommen einen Haircut. So wie die Griechen: Denen schneiden wir mal eben die dunklen Löckchen ab und verpassen Ihnen einen ordentlichen Haarschnitt.

So klang das vor ein paar Wochen, als der sechzigprozentige Schuldenschnitt für Griechenland angekündigt wurde. Und über die Folgen dieser neuen Frisur für die Griechen kaum ein Wort – Arbeitslosigkeit, höhere Steuern, weniger Einkommen.

Der Haircut erfüllt damit alle Voraussetzungen, die das humanistisch gesonnene Individuum an ein Unwort des Jahres stellen würde. Es klingt hübsch, freundlich und harmlos, wird benutzt, um als Hüllwort etwas so Unangenehmes wie eine harte Umschuldung zu vertuschen – und dadurch zynisch.

Vor etwa einem Jahr tauchte der Haircut auf, als Griechenland erstmals Schulden erlassen werden sollte, verschwand dann aber wieder; jetzt rückt der Friseurbesuch bedrohlich näher.  Wenn der Schuldenschnitt kommt, erhöht sich schlagartig die mediale Nutzung, die Siegchancen (in diesem selbstredend zweifelhaften Wettbewerb) steigen. Für mich neben dem Rettungsschirm, dem Stresstest und liefern ein ernstzunehmender Kandidat in diesem Jahr.

Einen Überblick über die Unwörter des Jahres finden Sie bei der Gesellschaft für deutsche Sprache. Und wenn Sie selbst noch einen Kandidaten für das Unwort des Jahres haben, können Sie es bis 31. Dezember zu Händen Prof. Dr. Martin Wengeler an die Organisatoren der Wahl schicken: vorschlaege@unwortdesjahres.net

(Nachtrag, 13.12.2011): Der Haircut wird noch weitergedreht. Die Commerzbank muss auf Wertpapiere abschreiben, weil sie überproportional viele PIIGS-Anleihen in ihren Büchern stehen hat. Ihr Vorstandsvorsitzender Martin Blessing ist kahlköpfig, ein Haarschnitt wäre unergiebig. Was macht die Süddeutsche Zeitung? Titelt heute im Wirtschaftsteil: „Commerzbank braucht eine neue Rasur“.

(Nachtrag, 12.2.2012) Der Haircut war relativ schnell erledigt, weil sich mit dem Schuldenschnitt ein sachlicheres Wort in den Medien durchgesetzt hat. Allerdings zuckt er manchmal noch, so etwa in einem Kommentar im Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung von diesem Wochenende.

2 Responses to Schulden streichen, Haare schneiden: Unwort Haircut
  1. […] Stresstest und Rettungsschirm habe ich auch als Kandidaten gesehen, der wahrhaft zynische Haircut betraf wohl zu weit entfernte Gebiete und abstrakte oder unsympathische […]

  2. […] Favorit war der Haircut, weil er besonders zynisch ist. Er gehört auch zu den Nominierten, allerdings nicht für die […]


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