(Nachtrag 11.2.2012) Dieser Eintrag am Tag der deutschen Einheit ist unseren Politikern gewidmet. Die haben sich in letzter Zeit nämlich neu inszeniert, wenn sie vor Kameras und Mikrofone traten: Sie liefern jetzt.

Roesler-Umweltkommissar-Potocnik

Wirtschaftsminister Rösler (m. EU-Umweltkommissar Potocnik): „Wir müssen liefern.“ (© BMWi)

Philipp Roesler tut’s, Angela Merkel auch. „Ab jetzt liefern wir“, versprechen sie, wenn sie der Öffentlichkeit nach schwierigen Verhandlungen mühsam gefasste Entschlüsse oder zäh errungene Kompromisse präsentieren. Werden aus Politikern Postboten und UPS-Zusteller? Handelt es sich um eine versteckte Solidaritätsadresse an den Niedriglohnsektor? Kann man bei Politikern jetzt Bestellungen aufgeben?

Das wohl nicht. Der neue Sprachgebrauch hat sich aus dem Englischen eingeschlichen. To deliver sagt man dort allgemein und Politiker im Besonderen gern, wenn es um konkrete Resultate in der Umsetzung abstrakter Ideen, Programme oder Ziele geht.

Und die werden, auch im Deutschen im übertragenen Sinne, geliefert. Oder gebracht. Sie lassen sich, wie Ergebnisse, auch erzielen. Insofern ist liefern ohne Objekt womöglich nur als neue Kurzform zu sehen, wie erinnern ohne sich. Obwohl das in seltsamem Widerspruch dazu steht, dass Politiker gewöhnlich mehr als wenig zu sagen haben.

Man kann auch handeln, aber das ist vielleicht zu vage und allgemein. Früher war man pathetischer und sprach davon, Wort oder Versprechungen zu halten oder einzulösen. Liefern klingt demgegenüber entschlossener und konkreter. Politik ist sprachlich unternehmerischer geworden: Regierungsmanagement.

Nachtrag 20.11.2011: Liefern geistert schon länger in der deutschen Sprache herum, so etwa in der Literatur. Zufällig habe ich es im Bestseller „Fleisch ist mein Gemüse“ entdeckt. Autor Heinz Strunk lässt seine Hauptfigur, einen Musiker, sagen, die Band habe „gut abgeliefert“. Das Buch erschien lt. Amazon am 1. Oktober 2004.

Und auch Sportler werden Lieferanten. Michael Ballack sagte vor dem 2:0-Sieg seiner Mannschaft in Kaiserslautern, die Leverkusener müssten lernen abzuliefern – haben sie. (SZ v. 18.11.2011)

Nachtrag (11.2.2012) Liefern kommt im Showbiz an. Bei den Recall-Shows von Deutschland sucht den Superstar (DSDS, RTL) fordert Jurymitglied Natalie Horler (Cascada) von den Kandidaten, sie müssten liefern. Nur – was?

5 Responses to „Liefern“: Politiker zu Postboten?
  1. Das Erstaunliche ist, mit welcher Gier so ein Ausdruck plötzlich aufgegriffen wird – als hätte bis dahin ein Mangel geherrrscht, der durch just dieses Wort bzw. seine neue Verwendung endlich, endlich behoben wird. Bei dem aus dem Sport übernommenen “gut aufgestellt sein” war es genauso, “kein Thema” war auch so ein Fall – lang und breit wird seither über Sachverhalte geredet, die angeblich “kein Thema” sind. Seltsam! Glauben Politiker, dass Wähler nicht unterscheiden können zwischen neuer Sprache und neuer Politik? Handelt es sich nicht oft genug eher um alten Wein in neuen Schläuchen?

  2. Politiker müssen von Berufs wegen viel reden, hören und lesen viel, und haben deshalb, vermute ich, eine Menge Sprechblasen im Kopf. Die werden dann mit eigenen Gedanken vermischt und heraus kommt der unschlagbare Mix aus Phrasen und Inhalt.

  3. […] zweifelhaften Wettbewerb) steigen. Für mich neben dem Rettungsschirm, dem Stresstest und liefern ein ernstzunehmender Kandidat in diesem […]

  4. […] vermutet, dass es sich im allgemeinen Sprachgebrauch etablieren würde. Auch die merkwürdige Neuinterpretation des Lieferns, auf Umwegen aus dem Angelsächsischen von Philip Rösler in die Politik gebracht, war in diesem […]

  5. @ Marco:

    No, sir, auf User-Nachfrage bisher nur ein Like-Button für Facebook. Jetzt aber steigen die Chancen auf ein Teilen-Feature bei der nächsten Überarbeitung der Seite. 🙂


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